Das Geld dort abholen, wo es ist Internationale Steuern sind kaum noch aufzuhalten - Chirac lädt zur Konferenz nach Paris VON PETER WAHL Steuer auf Flugtickets (dpa) + Steuer auf Flugtickets (dpa) "In einer Zeit, da die Globalisierung die Schaffung von neuen Reichtümern in nie da gewesenen Maßen ermöglicht, sind die wachsenden Ungleichheiten zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern inakzeptabler denn je." Dieses Zitat stammt nicht etwa von Globalisierungskritikern, sondern steht in der Einladung des französischen Präsidenten Jacques Chirac zu einer Konferenz über internationale Steuern, die nächste Woche in Paris stattfindet. Dabei begnügt sich Chirac nicht mit Worten. Frankreich hat bereits ein Gesetz verabschiedet, wonach ab 1. Juli eine Steuer auf alle Flugtickets erhoben wird: Ein Euro für Inlands- und innereuropäische Flüge in der Economy Klasse, zehn in Business und First Class. Für Interkontinentalflüge sind es vier und vierzig Euro. Die Einnahmen fließen in die Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und Aids. Auch Brasilien hat sich der Initiative angeschlossen. Vermutlich werden bei der Konferenz in Paris weitere Länder dazustoßen. Bundesregierung im Krebsgang Ursprünglich hatte sich auch die rot-grüne Bundesregierung für die Ticket-Steuer ausgesprochen. Seinerzeit war Eichel geradezu begeistert auf den Zug aufgesprungen - weniger aus Solidarität mit den Verlierern der Globalisierung, als damit einer Steuer auf Währungsspekulation (sog. Tobin Steuer) den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich beim Weltwirtschaftsforum 2005 nämlich positiv zu dieser Steuer geäußert. Verteilungspolitisch wäre diese Steuer viel interessanter. Denn die Ticketsteuer ist eine Massensteuer. Die Tobin-Steuer träfe dagegen nur die institutionellen Investoren und deren Kunden, die mit den börsentäglich 1,9 Billionen US-Dollar Devisenflüssen märchenhafte Renditen erzielen. In der neuen Koalition stößt aber selbst die Ticketsteuer auf Widerstand. Zwar gehört Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul zu den Befürwortern, kann sich aber bisher nicht durchsetzen. International sind die USA schärfster Gegner internationaler Steuern. Internationale Steuern sind historisch neu. So wie die zweite Säule moderner Staatlichkeit, das Gewaltmonopol, war die Erhebung von Steuern bisher an das Territorium des Nationalstaates gebunden. Mit der Globalisierung ändert sich das. Die Transnationalisierung von Wirtschaft und Kommunikation ermöglicht die Erschließung völlig neuer Profitquellen und erlaubt es Unternehmen und Wohlhabenden ihre Steuern in der Schweiz oder auf den Bermudas zu veranlagen. Das ist die Hauptursache für die Erosion der öffentlichen Finanzen. Da ist es nur logisch, globalisierungsbedingte Gewinne wenigstens teilweise abzuschöpfen und an die Verlierer der Globalisierung umzuverteilen sowie zur Finanzierung öffentlicher Güter - Gesundheit, Umwelt, Bildung, Entwicklung, Kultur etc. - zu verwenden. In Gang kam das Ganze durch die Diskussion um die Tobin-Steuer. Nobelpreisträger James Tobin wollte die Lenkungswirkung der Steuer nutzen, um Überliquidität (Überangebot von Geld, d. Red.) von den Devisenmärkten zu nehmen. Angesichts der strukturellen Dauerkrise der öffentlichen Hand in den meisten Industrieländern ist jedoch die Einnahmefunktion von Steuern zunehmend in den Vordergrund gerückt. Ein Faktor sind dabei auch die sog. Millenniums-Entwicklungsziele, die die Halbierung der Armut bis 2015 vorsehen. Dieses Ziel ist unerreichbar, wenn es nicht zu einer Wende in der Entwicklungsfinanzierung kommt. Um sich eine Blamage zu ersparen, suchen daher einige Regierungen jetzt intensiv nach neuen Finanzquellen. Was heißt international? Auf den ersten Blick sieht die Ticket-Steuer nicht anders aus als nationale Steuern, z.B. die Benzinsteuer. Historisch neu aber ist die internationale Zweckbindung. Die zweite internationale Dimension besteht darin, dass mehrere Länder vereinbaren, die gleiche Steuerart für den gleichen Zweck konzertiert zu erheben. Eine noch weitergehende Form wäre die multilaterale Erhebung von Steuern, z.B. durch die Vereinten Nationen. Die Globalisierungskritiker und die entwicklungspolitischen NGOs betrachten die Ticket-Steuer als Einstieg in ein neues Paradigma, das die Doppelfunktion von Steuern - Lenkung und Geldbeschaffung - zur Entwicklungsfinanzierung und zur Regulierung der Globalisierung nutzt. Daran gemessen ist die Ticket-Steuer unzureichend. Ihre ökologische Lenkungsfunktion ist gleich Null. Selbst die Billigflieger werden die niedrige Steuer problemlos wegstecken. Auch die Einnahmen sind vergleichsweise gering. Selbst wenn alle EU-Staaten mitmachen würden, kämen maximal zwei Milliarden Euro zusammen. Selbst bei einer unilateralen Einführung der Tobin-Steuer in Europa (Steuersatz: 0,01 Prozent) würde dies dagegen bereits 16 bis 20 Milliarden Euro bringen. Chirac hat das begriffen. Daher steht die Tobin-Steuer bzw. eine avancierte Variante auch auf der Tagesordnung der Pariser Konferenz. Auch wenn die Ticket-Steuer ein höchst bescheidener Anfang ist, das Thema internationale Steuern wird nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden. Die Strukturkrise der Staatsfinanzen und der Finanzierungsdruck bei den Entwicklungszielen sorgen für Druck. Es ist mehr Geld da, als je zuvor. Durch innovative Steuerpolitik muss man es da holen, wo es im Überfluss vorhanden ist. Internationale Besteuerung ist dafür zwar nicht das einzige, aber ein wichtiges Instrument. ty http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/standpunkte/?sid=&cnt=814813