Strategisches Investieren - wie ich persönlich es mache

  • Anbei möchte ich Euch meine persönliche Strategie vorstellen, mit der ich an der Börse agiere.


    Die Strategie hat sich im Laufe von nun ca. 6 Jahren intensiver Börsenerfahrung ergeben und ist sicherlich nicht für jeden geeignet. Sie passt aber gut zu meiner Mentalität (Investieren in aussichtsreiche Wachstumswerte = hohe Gewinnchancen, gleichzeitig Kontrolle des Risikos = gut schlafen können, wenig Stress). Insgesamt verfolgt die Strategie das Ziel, mich möglichst unabhängig von der eigenen Psychologie zu machen: Ich versuche, die eigene Gier nach Kursgewinnen und die Angst vor Verlusten zu kontrollieren. Die Strategie überdenke ich regelmäßig, um sie weiter zu optimieren.


    Ich habe einfach mal versucht, diese Strategie sie in Regeln zusammenzufassen. Diese Regeln sind i.d.R. nicht strikt, sondern als Orientierungshilfe zu verstehen:
    1. Vor Kauf - soweit möglich - eigene(!) Fundamentalanalyse durchführen (die Ratschläge von Börsenbriefchen und anderen Tippgebern nur als Anregungen und zum "Aufmerksamwerden auf Unternehmen" verstehen). Es kommen nur Werte ins Depot, die mittel- bis langfristig (5 bis 8 Jahre) die Chance versprechen, in neue Dimensionen hineinzuwachsen. Die Bewertung muss nachvollziehbar sein. Ich muss bereit sein, die Aktie ggf. über viele Jahre zu halten (also: Langfrist-Anlagen).
    2. Antizyklisch investieren: In Euphoriephasen Cash aufbauen, bei schlechter Stimmung investieren. Auf diese Weise lassen sich Schnäppchen machen.
    3. Kein StopLoss setzen. Ein Wert fliegt nur aus dem Depot, wenn die Fundamentaldaten sich negativ geändert haben. (Hinweis: Mein Depot besteht zu einem großen Teil aus Biotechs - da die Branche nur schwer einzuschätzen ist, schlagen die Kurse häufig Kapriolen (davon darf man sich nicht beirren lassen). Mit dem Setzen eines StopLoss würde ich mich ggf. selbst rauskicken. Übrigens: Biotechs haben den Vorteil, dass auch in schlechten Zeiten Geld für die Gesundheit ausgegeben wird. Sie sind daher relativ konjunkturunabhängig, und der Patentschutz bringt die besondere Würze.)
    4. Nach 100% Kursgewinn die Hälfte des Bestandes verkaufen. Der Rest hat sich auf diese Weise selbst finanziert - man kann getrost Regel 5 beachten. Außerdem erhält man neue Liquididät.
    5. Nach Halbierung des Bestandes (siehe 4) weggucken a la Kostolanyi. Ab und zu die Fundamentaldaten überprüfen - nur verkaufen, wenn die alte Einschätzung überholt ist oder sich als Fehleinschätzung entpuppt.
    6. Breite Streuung. Von dem Ratschlag, eine überschaubare Anzahl an Werten im Depot zu haben (z.B. max. 10), halte ich nichts. Dann kann man sich das Weggucken (siehe 5) kaum leisten, da jeder Wert eine relativ hohe Gewichtung hat. (Ich selbst habe jetzt fast 100 Unternehmen im Depot, von denen sich trotz dreijähriger Krise mehr als die Häflte - Regel 4 - selbst finanziert haben. Darunter sind natürlich auch ein paar Pleitegänger, allerdings auch nicht wenige mit mehreren 100% Kursgewinn, die mir durch Beachtung von Regel 5 ermöglicht wurden. Insgesamt: Der Antizyklik sei Dank.)
    7. Gewinne versteuern. Auf diese Weise fällt es leicht, sich Fehleinschätzungen einzugestehen und von den entsprechenden Werten zu trennen (da Verluste innerhalb eines Jahres absetzbar). Außerdem kann ich auf diese Weise frei über mein Geld verfügen, also ohne Angst vor der Steuerfahndung und eventuellen Nachzahlungen haben zu müssen. Insgesamt ist diese Regel auch kein Problem: 100% Kursgewinn werden nicht allzu oft innerhalb der Spekulationsfrist von einem Jahr erreicht, so dass die Steuerzahlungen mir nicht weh tun. Außerdem ist ja ein Verfahren beim Verfassungsgericht anhängig - ich gehe davon aus, dass die aktuelle Besteuerung aufgrund der Ungleichbehandlung verfassungswidrig ist und mir die Steuerzahlungen zurückerstattet werden.
    8. Tendenziell ca. 50% der verfügbaren Summe in Tagesgeld halten. Das ist in schlechten Zeiten ein prima Puffer, und automatisch handele ich antizyklisch: Um diese Quote zu halten, muss ich Aktien in guten Zeiten verkaufen und in schlechten Zeiten kaufen.
    9. Grundsätzlich keine Käufe auf Kredit.
    10. Grundsätzlich keine Optionsscheine kaufen. In den USA gibt es m.E. massenhaft gute und sehr gute Hightech-Werte, deren Bewertung auf Optionsschein-Niveau liegt. Diese Werte sind möglicherweise ähnlich riskant wie Optionsscheine - sie weisen aber keine Laufzeit auf! Ähnlich betrachte ich auch Aktien von Goldminen! (Achtung: "Bewertung auf Optionsschein-Niveau" nicht mit "preiswert" verwechseln.)
    11. Charts spielen nur eine Nebenrolle (da ich langfristig orientiert bin). Charts kommen nur bei der Bestimmung des Kaufzeitpunktes zum Einsatz.
    12. Vorrangig US-Aktien kaufen. In den USA sind die Informationsmöglichkeiten zu den Unternehmen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen besser. Außerdem ist der Markt viel breiter. Hinzu kommt, dass die Unternehmen flexibler sind (z.B. in sachen Restrukturierung, Entlassungen ...), da der Gesetzgeber sich nicht so stark einmischt. Ich persönlich gehe auch davon aus, dass US-Firmen innovativer sind und eher als z.B. deutsche neue Märkte erobern bzw. ihren Marktanteil ausbauen können.


    Und noch ein Hinweis: Ich kaufe fast ausschließlich Mid- und Small-Caps, um von den Wachstums-Chancen profitieren zu können. Dazu ist es gekommen, weil mir Large-Caps bei meinem Einstieg in die Börse (98/98) viel zu teuer waren. Aufgrund meiner positiven Erfahrungen bleibe ich nun dabei.
    Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel; so habe ich (Stichworte Antizyklik, Diversifikation) die dreijährige Börsenkrise genutzt, um die ein oder andere Aktie in mein Depot aufzunehmen, die mir zuvor zu teuer war. (Beispiele hierfür: Nortel und Microstrategy, die ich beide gekauft habe, als alle Welt "die gehen pleite" schrie. Nortel habe ich gekauft, weil ich mitbekommen habe, dass fast jeder von einer Pleitewelle in diesem Sektor ausging. Riskant war es natürlich - aber mit Kostensenkungen, höherem Marktanteil (Pleite einiger Konkurrenten) sowie aufgestautem Nachrüstungs-Bedarf der Kunden schienen mir die Chancen recht hoch. Mittlerweile sind dort ca. 600% Buchgewinn aufgelaufen. Microstrategy hatte ich bei einem (splitbereinigten) Kurs von ca. 600 USD auf meine Watchlist gesetzt. Damals waren sie fundamental hoffnungslos überteuert. Gekauft habe ich sie dann - nach erneuter Sichtung der Fundamentaldaten - für 5 USD und habe dort mittlerweile knapp 1100% Kursgewinn. So kann es gehen - allerdings habe ich jetzt natürlich die absoluten Bonbons ausgepackt. Es klappt selten so extrem gut.)


    Noch zur Antizyklik und zur Fundamentalanalyse: Ich lese viel über die Börse (auch im Internet), um auf Unternehmen aufmerksam zu werden. Aber ich kaufe nicht blind. Wenn ein Wert mir interessant erscheint, so setze ich ihn auf die Watchlist und beobachte ihn ab und zu. Ich informiere mich über die Branche, das Geschäftsmodell, die Zukunftsaussichten, die Konkurrenzsituation und natürlich die Zahlen. Ich kaufe nicht in den Trend hinein (häufig werden Unternehmen natürlich aus aktuellem Grund besprochen, so dass der Kurs gerade schon gestiegen ist, wenn ich darauf aufmerksam werde). Ich lasse etwas Zeit vergehen und kaufe nur dann, wenn ich dem Unternehmen auch nach einiger Zeit noch Erfolg zutraue.

  • Hallo karl,


    sehr gute Strategie, vor alllem die Punkte 1 und 3 gefallen mir.
    Allerdings ist mir bei Punkt 9 aufgefallen, dass Du 50 % in Tages-
    geld zurückhältst. Ich behalte in Hausse-Phasen max. 10 % in Re-
    serve, sonst bis zu 30 %.


    Gruss


    Warren

  • Warren: Die 50% Tagesgeld sind heftig, ich weiß. Aber an den Aktienmärkten ist stets mit Kapriolen zu rechnen, und auf diese Weise kann ich sehr gut schlafen.
    Außerdem habe ich recht sorgenlos auch bei der miesesten Stimmung noch kaufen können. Ich weiß nicht, ob ich diesen antizyklischen Ansatz mit nur 10% Tagesgeld durchgehalten hätte.

  • Den Thread finde ich gut, deswegen hole ich ihn nochmal hoch.


    Ich bin im Moment zu 100% investiert, habe nur 7 verschiedene Positionen im Depot, das Depot ist zu 25% kreditfinanziert, mir kommt nix Amerikanisches ins Depot (außer Dollar-Puts) und der Aktienanteil ist <15%.


    Also völlig anderer Weg, der aber in den letzten 5 Jahren zum gleichen Ziel, nämlich einer ziemlich guten Performance geführt hat. Und ich gebe Karl völlig recht darin, dass man eine disziplinierte Strategie verfolgen muss und von seinen Investments so überzeugt sein sollte, dass man in turbulenten Zeiten einen kühlen Kopf bewahren kann.


    Man sollte sich auf einige wenige Marktsegmente konzentrieren, von denen man dann wirklich was versteht. Ich habe 15 Jahre lang erfolglos rumgezockt, weil ich ständig neidisch auf die Erfolge anderer geschielt habe und versucht habe, deren Anlagen nachzuahmen. NICHT ZU EMPFEHLEN.


    Seitdem ich selbstbewußt genug bin, um meine eigenen Ideen umzusetzen und DURCHZUHALTEN, läuft es wesentlich besser.

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