Das zweitgrößte Land der Erde sitzt auf Ölvorräten, die als die zweitgrößten Vorkommen beziffert werden. Allerdings ist erst jetzt eine Förderung wirtschaftlich
Vancouver - In den unwirtlichen nördlichen Gegenden des kanadischen Bundesstaats Alberta ist so etwas wie ein Ölrausch ausgebrochen: Auf einem Gebiet von an die 200 km², in der Nähe der Stadt Fort McMurray gibt es ein bestätigtes Reservoir von 176 Mrd. Barrel Öl (ein Barrel sind rund 159 Liter), die weltweit zweitgrößten Vorkommen. Das ist zwar schon seit rund 30 Jahre bekannt, aber erst in den letzten zwei Jahren hat ein Run auf die Vorkommen eingesetzt.
"Die Ölpreise sind hoch. Jetzt wird es auch wirtschaftlich", erklärt Julius Nemeth, Marketing Manager der Economic Development Corporation von Edmonton, einer Art Betriebs ansiedelungsgesellschaft. Die Energiekonzerne Shell und Total sind seit Kurzem vor Ort und beginnen, zusammen mit den beiden größten kanadischen Öl- bzw. Minenfirmen Suncore und Syncrude Mining, mit der Erschließung. Jobsuchende aus ganz Kanada ziehen in Erwartung hoher Gehälter in die Region, ebenso wie Spezialisten aus der ganzen Welt, die mit einem einjährigen Arbeitsvisum ihr Glück suchen.
Im Gegensatz zu Erdöl im Nahen Osten, wo das schwarze Gold heraussprudelt, wenn man ein Feld anbohrt, ist in Kanada das Öl im Gestein gebunden. Derzeit wird nur an der Oberfläche, in einem Bereich von 20 bis 50 Metern, geschürft, erzählt Nemeth. Dazu werden die Ölsande abgetragen und das Öl ausgewaschen. Die wirklich fetten Vorkommen, die etwa 80 Prozent der Vorräte ausmachen, liegen aber tiefer, bis zu 200 Meter unter der Oberfläche, gebunden in hartem Granit.
Steigerung des Ausstoßes
Um diese tiefer gelegenen Vorkommen wird es künftig insbesondere gehen. Denn Kanada plant, den derzeitigen Ausstoß von 900.000 Barrel pro Tag binnen zwei Jahren auf zwei Mio. Barrel zu steigern. (Zum Vergleich: Das größte Erdölfeld der Erde in Ghawar, Saudi-Arabien, liefert 4,5 Mio. Barrel/Tag).
Dazu benötigt es eine Technologie, die Nemeth SAGD (Steam Assisted Gravity Drainage) nennt. Dabei wird ein doppeltes Rohrsystem in die Erde gebohrt; eines der (gelöcherten) Systeme befördert heißen Wasserdampf ins Ge 5. Spalte stein und presst das Erdöl in das zweite, parallele Rohrsystem hinein.
Investitionen von bis zu 100 Mrd. kanadische Dollar (76 Mrd. Euro) werden nötig sein, um die Produktion auszuweiten und Pipelines zu legen. Vor allem aber geht es darum, die SAGD-Fördermethode so zu verbessern, "dass schneller und mehr gefördert werden kann", so Nemeth.
Schoeller-Bleckmann Oilfield vor Ort
Die steirische Schoeller- Bleckmann Oilfield (SBO), ein Spezialist für SAGD-Bohrmethoden, ist über ihre US-Tochter Bico Faster Drilling Tools vor Ort. "Wir beliefern Förderunternehmen", erklärt SBO- Vorstand Gerald Grohmann. Auch die OMV hat einige Male Späher ausgesandt. "Wir beobachten die Entwicklung", sagt OMV-Pressesprecher Thomas Huemer. Allerdings gebe es keine Entscheidung, dort einzusteigen.
Im Gegensatz zu Alaska, wo der US-Senat Pläne der Regierung, die dortigen Ölsandvorkommen auszubeuten, blockiert hat, sind die kanadischen Pläne bisher kaum auf Kritik gestoßen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich im Falle von Alaska um ein arktisches Naturreservat handelt. Auch bemüht sich Kanada um möglichst umweltschonendes Vorgehen, betont Nemeth. Das vom Auswaschen des Ölsands verunreinigte Wasser werde gereinigt; abgetragene und ausgebeutete Felder wieder aufgeforstet. Silva Herrmann von der Umweltorganisation Global 2000 sieht dies nicht ganz so und verweist auf den enormen Energieaufwand, den diese Art der Erdölproduktion benötigt. (Johanna Ruzicka, Vancouver, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.4.2006)