Doktor Greenspan bereitet Finanzmärkte auf Zinsoperation vor Kerninflationsrate steil angestiegen - Unternehmen erwirtschaften Gewinne wie seit 20 Jahren nicht mehr - Kritiker: Fed reagiert zu spät von Peter Herkenhoff New York - Der Chef der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, hat so deutlich wie seit mehreren Jahren nicht mehr von einer zunehmenden Gefahr für die Preisstabilität gewarnt. Während einer Konferenz in London, zu der Greenspan via Satellit zugeschaltet wurde, versicherte der 78-Jährige zugleich, dass die Notenbank in angemessener Weise auf die Inflationsgefahr reagieren werde. Sorge bereitet ihm die zuletzt gestiegene Kerninflationsrate, eine Kennziffer, die verzerrende Faktoren wie den Ölpreis von vornherein ausklammert. Lag sie im Dezember noch bei beruhigenden 1,1 Prozent, so ist sie im Juni auf 1,8 Prozent gestiegen. Dieser Wert ist zwar immer noch sehr niedrig, doch nun besteht die Gefahr, dass die Marktteilnehmer mit weiter steigenden Preisen rechnen. Im ungünstigsten Fall kann es auf einzelnen Märkten zu einem Ungleichgewicht kommen. Gewerkschaften könnten zum Beispiel versuchen, höhere Löhne durchzusetzen und damit die von Ökonomen gefürchtete Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Tatsächlich passt das aktuelle Zinsniveau von einem Prozent nicht zur wirtschaftlichen Lage in den Vereinigten Staaten. Die Wirtschaft hat längst wieder an Fahrt gewonnen, die Unternehmen erwirtschaften so hohe Gewinne wie zuletzt vor 20 Jahren und seit Anfang des Jahres sind bereits 1,2 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Der geldpolitische Ausschuss der Federal Reserve tagt das nächste Mal am 29./30. Juni. Es gilt als sicher, dass die Fed die Tagesgeldzinsen ("Fed Funds") um einen Viertelprozentpunkt auf dann immer noch rekordniedrige 1,25 Prozent anheben wird. Zugleich deutete Greenspan in typisch verklausulierter Form an, dass die Notenbank nicht davor zurückschrecken werde, die Schraube notfalls auch kräftiger anzuziehen. Die Terminmärkte hätten höhere Zinsen bereits eingepreist, sagte Greenspan und versicherte zugleich, dass die Fed aus Fehlern der Vergangenheit gelernt habe. Ohne die Märkte ausreichend vorzubereiten, hatte die Notenbank die Zinsen 1994 innerhalb von zwölf Monaten um drei Prozentpunkte angehoben und den damaligen Aufschwung abgewürgt. Damals wie heute war es die längst totgeglaubte Inflation, die sich nach einer längeren Phase niedriger Zinsen wieder mit Macht zurückmeldete. "Im Gegensatz zu 1994 sind die Kapitalmarktzinsen in Erwartung einer restriktiven Geldpolitik bereits angestiegen", sagte "Mr. Greenspeak", konnte sich dabei aber einen Seitenhieb an die Finanzmärkte nicht verkneifen. "Die Geschichte lehrt, dass die Erwartungen der Investoren an die Wirkungen der Geldpolitik nicht gerade perfekt sind." Im Übrigen unterstreiche das zuletzt deutlich gestiegene Geldangebot, dass die Fed die Kapitalmärkte mit ausreichend "Liquidität" versorgt habe. Bei zahlreichen Investoren dürfte sein Abschluss-Satz für Hektik und Aufregung gesorgt haben. "Sollte sich unsere Einschätzung als falsch herausstellen, ist der geldpolitische Ausschuss jederzeit bereit, seinen Auftrag zu erfüllen und Preisstabilität bei gleichzeitig nachhaltigem Wirtschaftswachstum sicherzustellen". Im Klartext: Zinsschritte von 0,5 Prozentpunkten sind nicht ausgeschlossen. Experten waren dennoch nicht überrascht. Citigroup-Volkswirt Robert DiClemente sagte, die Fed bereite die Märkte auf eine aggressivere Geldpolitik vor, akuten Handlungsbedarf gebe es zur Zeit aber nicht. Ausgewiesene Fed-Kritiker wie Morgan-Stanley-Chefvolkswirt Stephen Roach werfen Greenspan seit langem vor, die Notenbank habe zu zögerlich auf den Aufschwung reagiert und hinke der "Inflationskurve" deutlich hinterher. Ruhe vorm sturm?