Der geheimnisvolle Keller des
James Schlitzear
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Unsere Geschichte spielt zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Großbritannien. Der junge James Schlitzear hatte gerade das väterliche Geschäft übernommen, ein gut gehenden Goldschmiedebetrieb in der City of London. Da in dem Betrieb immer erhebliche Menge Gold nicht nur verarbeitet wurden, sondern dazu auch kurz- und mittelfristig gelagert werden mussten, waren entsprechende Sicherheitsvorkehrungen nötig. So befand sich das Gold in einem sehr tiefen und darüber hinaus mit dicken Mauern gesicherten Keller. Die Kellertür war aus massivem Stahl und ließ sich nur mit zwei speziellen Schlüsseln öffnen, von denen einer sich bei James Schlitzear befand, wo der andere war wusste niemand.
Die Zeiten waren unsicher, es gab Räuberbanden und vor allem die ländliche Bevölkerung, weitab von jeder Polizeidienststelle hatte unter dem Bandenunwesen zu leiden. Oftmals klagten die Leute den Goldschmied James Schlitzear ihre Probleme. Zwar konnte sich der Landadel und die Großgrundbesitzer es leisten, prächtiges Geschmeide anfertigen zu lassen, aber die Lagerung ihrer Schätze stellte ein Problem dar, ein Problem, dass James Schlitzear nur vom Hören-Sagen kannte.
Also entdeckte James Schlitzear eine neue Marktlücke: sehr viel einfacher als die mühsame Ausübung der Goldschmiedekunst war es, die Geldaufbewahrung für den Adel und die wohlhabenden Bürger zu übernehmen, dann in James Schlitzears Keller war noch massig Platz. Zur damaligen Zeit bestand das Geld aus zahlreichen entweder vollstoffwertigen oder unterstoffwertigen Münzen. Größere Mengen an Reichtum wurden in Edelmetallen aufbewahrt, meist in Silber. Daher stammt auch die Bezeichnung der britischen Währung, dem Pfund Sterling. Sterling ist eine bestimmte Silberqualität. Da Gold und Silber zu weich sind, werden sie gewöhnlich nicht rein aufbewahrt, sondern in Metalllegierungen. Sterling-Silber hat einen Feingehalt von 925/1000, d.h. es besteht zu 92,5 % aus Silber und zu 7,5 % aus härtenden Beimischungen. Ein Pfund Sterling war also ein Pfund (das englische Pfund hat 16 Unzen zu je 28,35 gr, es ist also 0,4536 kg schwer) des Sterling-Silbers (das sind nach heutigen Preisen etwa 80 Euro).
James Schlitzear erlaubte also seinen Kunden gegen eine Gebühr bei ihm ihre Wertsachen aufzubewahren, er war somit Bankier geworden. Für die Hinterlegung stellte er den Kunden eine Quittung aus, eine Notiz der Bank, eine bank note. Unser heutiges Wort Banknote stammt daher. Auf den englischen Banknoten steht sogar noch der gleiche Text, den James Schlitzear damals verwandte:
"I promise to pay the bearer on demand the sum of five pounds" sterling
lediglich das letzte Wort wird heute nicht mehr verwendet, denn die Bank von England tauscht die Banknoten nicht mehr in Silber ein, die Währung heißt aber weiter "Pound Sterling". Der Text, den James Schlitzear auf die Banknoten schrieb, heißt übersetzt: "Ich verspreche, dem Überbringer auf Verlangen die Summe von fünf Pfund Silber zu geben." Damit war diese Banknote mehr geworden als ein Hinterlegungsschein für Geld, wie es beispielsweise ein Sparbuch ist. Die Banknote war vielmehr übertragbar geworden. Verkaufte ein Bauer z.B. ein Pferd für 10 Pfund, so musste der Käufer nicht erst nach London zu James Schlitzear fahren, sich das Silber geben lassen, dieses dem Verkäufer bringen und der musste sich dann mit 4,5 kg Silber abschleppen, bis er es nach London bringen konnte, um es James Schlitzear zu geben. Vielmehr konnte gegen Übergabe der Banknote bezahlt werden. Zwar bestand auch jetzt noch die Gefahr, dass Bankboten gestohlen werden konnten, da sie aber viel kleiner und leichter waren, ließen sie sich leichter verstecken, außerdem war der Geldtransport viel einfacher.
Das Geschäft von James Schlitzear ging ausgezeichnet. Hatte er früher nur in einigen Regalen Silber abgelegt, so stapelte sich das Edelmetall inzwischen überall auf dem Boden. Bald warf er neues Silber einfach nur noch hinunter, es sah allmählich aus, wie in Dagobert Ducks Geldspeicher. Von den 24 Stufen in den Keller waren inzwischen nur noch 9 zu sehen, so hoch lag das Silber. Und jährlich wurde es mehr, jährlich verschwand eine Stufe mehr vor den Blicken des erfolgreichen James Schlitzear. Manchmal, in Jahren, in denen die Ernte schlecht war, holten zwar Leute einiges Silber ab, aber maximal war eine Stufe mehr frei. James Schlitzear war nun inzwischen 40 Jahre alt und wollte die Erfolge seines Geschäfts genießen. Daher kaufte er sich in Schottland ein Schloss, mit allem was dazu gehörte: Gärtner, Köche, Butler, Mätressen, Schlossgespenst usw.
Das Schloss war ziemlich teuer. Um zu bezahlen entnahm er seinem Keller zwei Wagenladungen von Silber. "Was soll das Silber dumm im Keller ´rumliegen. Es kommen doch nie alle Leute und wollen ihr Silber abholen, und jetzt habe ich auch wieder etwas mehr Platz für neues Silber in meinem Keller. James Schlitzear führte ein Leben in Luxus, er erlaubte sich einen Wohlstand, wie es niemand ansonsten in Schottland tat. Auf diese Art hatte er bald zahlreiche Freunde, die zu seinen Festgelagen kamen und etliche pumpten ihn an. James Schlitzear genoss es, denn Superreichen zu spielen und verlieh an seine Freunde Geld. Auch bei den jungen Damen Schottlands war James Schlitzear sehr erfolgreich, wohl weniger, dass sie ihn hübsch fanden, oder dass er so ein toller Liebhaber war, aber er war auch zu seinen Gespielinnen durchaus großzügig, eine Eigenschaft, die in Schottland nicht allzu weit verbreitet war.
Um dies zu finanzieren fuhr er zweimal jährlich nach London. Er kam dann immer mit einer ganzen Wagenladung voll Silber zurück und sein Wohlleben und das seiner Freundinnen und Freunde war gesichert. James Schlitzear liebte nicht nur die Damen, er war auch ein großer Anhänger von dunklem Bier und schottischem Whiskey und er aß auch gern. So ist es nicht verwunderlich, dass er allmählich ziemlich rund wurde und die reisen nach London fand er zu beschwerlich. Daher vereinfachte er die Geldbeschaffung etwas. Er nahm einfach einen großen Stapel gestempelter Banknotenvordrucke aus London mit und wann immer er Geld benötigte setzte er sich in sein Arbeitszimmer und stellte sich eine aus: "I promise to pay the bearer on demand the sum of fifty pounds sterling." Und schon lieferte der Delikatesshändler einen Monat lang die allerschönsten Leckereien.
Und dann war da noch die Geschichte mit Moira. Er hatte Moira bei einem Ausritt an Loch Ness kennengelernt. Sie hatte wunderschönes, kastanienbraunes Haar und als sie aus dem Loch stieg wurde er ihrer ganzen Schönheit gewahr. Er ging zu den Eltern von Moira und machte ihnen das Angebot, sie zu einer feinen Gesellschaftsdame zu machen, außerdem würde er ihnen eine Schafherde kaufen. Gesagt - getan und Moira kam mit aufs Schloss. Wie man sich denken kann, war James Schlitzear weniger an Moiras Ausbildung interessiert, als an ihren körperlichen Reizen. Da er aber nicht nur besonders freundlich zu ihr war, sonder ausgesprochen großzügig, kam sie seinem Bitten bald nach. Die beiden verlebten einige sehr schöne Jahre miteinander. Sie erfreute sich an all den schönen Dingen, die er ihr kaufte, er genoss ihre körperlichen Vorzüge. Und wann immer Moira einen Wunsch hatte, ging er in Erfüllung. "Du, Schlitzöhrchen, in der Stadt habe ich ein ganz entzückendes Abendkleid gesehen, es kostet aber 15 Pfund." "Kein Problem, mein Moira-Mäuschen, hier hast du 20 Pfund, kauf die noch ein Negligé und einen schwarzen Spitzen-BH dazu," sagte dann ihr großzügiger Freund und schrieb eine Zwanzig-Pfund-Banknote aus. "Aber Schatzilein Schlitzöhrchen, was machst du denn da, dir hat doch gar niemand 20 Pfund gebracht?", wunderte sich Moira. Doch James beruhigte sie: "Von Geldgeschäften verstehst du nichts, mit süßes Dummerchen." Moira war's recht, solange sie all das bekam, was sie wollte.
Doch dann geschah, was geschehen musste. Eines Tages ließ sich James Schlitzear nicht mehr in ihrem Kämmerchen sehen. Und wen sie auch fragte, immer hieß es: "Der gnädige Herr hat keine Zeit." Und Moira hatte doch ein so tolles Hütchen in der Stadt gesehen, dass sie unbedingt wollte. Also machte sie sich auf die Suche nach ihrem Freund. Da das Schloss groß war dauerte es seine Zeit. Schließlich fand sie ihn. Er befand sich im Bett mit einer Dame die sichtlich junger und blonder war als Moira. Nicht genug damit, James Schlitzear schnauzte sie auch noch an: "Ist man vor dir alten Kuh denn nirgendwo sicher."
Heulend rannte Moira weg. Sie lief bis in die Stadt, wo sie in einen Pub ging, um ihren Kummer bei Bier und Whiskey zu ersäufen. Und wer immer es wissen wollte, dem klagte sie ihr leid, auch den beiden reisenden Geschäftsleuten aus London. "Und stellt euch nur vor, immer macht er so gemeine Sachen und betrügen tut er auch. Wann immer er Geld braucht setzt er sich einfach hin und schreibt eine Banknote: "I promise to pay the bearer on demand the sum of one hundred pounds sterling." Die Londoner waren schockiert. Wenn das stimmte, gab es im Keller des James Schlitzear nicht genug Silber, um alle Leute auszuzahlen, die dort ihr Geld deponiert hatten.
So rasch wie möglich begaben sich die beiden nach London, gingen zur Bank des James Schlitzear und lösten alle ihr Banknoten ein. Dann erzählten sie es ihren geschäftsfreunden um auch diese zu warnen. Sie hatten ziemlich viele Geschäftsfreunde und auch die Geschäftsfreunde hatten wieder Geschäftsfreunde. Wer immer davon erfuhr, rannte zur Bank, um seine Banknoten einzulösen, alle rannten. Es kam zu dem gefürchteten Ereignis, das noch heute Run heißt: einem Ansturm auf eine vermeintlich oder tatsächlich zahlungsunfähige Bank. Da die Bank des James Schlitzear zahlungsunfähig war, schloss sie. Jedoch strömten immer mehr Banknoteninhaber in die Stadt und verlangten die Herausgabe ihres Geldes. Als dies nicht möglich war, begaben sie sich zum Palast und riefen nach dem König. Der König war inzwischen von dem Problem informiert und er gab seine Entscheidung dem Volk bekannt: "Ich habe soeben verfügt, dass keine Privatbank in ganz England mehr Banknoten herausgeben darf. Das Recht Banknoten herauszugeben hat künftig nur noch eine einzige Bank, die unter der Kontrolle ihrer Majestät des Königs von England steht, sie wird den Namen ´Bank of England´ tragen."
Uns so ist es bis heute geblieben. Aufgrund der Erfahrungen mit Bankiers wie James Schlitzear hat in England nur die Bank von England das Recht Banknoten auszugeben. Das gleiche gilt für fast alle anderen Staaten der Welt. In Deutschland macht dies die Deutsche Bundesbank in enger Abstimmung mit der Europäischen Zentralbank (EZB), beide sitzen in Frankfurt. In ganz Europa gibt es nur noch ein Land, in dem mehrere Banken Banknoten herausgeben, es ist Schottland. Man sagt diese banken seien Gründungen mehrerer unehelicher Söhne des James Schlitzear, aber das ist sicher nur ein Gerücht.
Der olle James Schlitzear wurde übrigens unterhalb des höchsten Schlossturmes mit zerschmetterten Knochen gefunden. Die einen sagen, von ihm betrogene Sparer hätten ihn herabgestürzt, andere behaupten, ein Auftragskiller habe diese Arbeit erledigt und wieder andere meinen James Schlitzear sei von dem Schlossgespenst in den Tod getrieben worden. Auf jeden Fall lebt er nicht mehr. Aber in Schottland erzählt man sich noch heute, sein Geist würde herumspuken und sich manchmal anderer Bankiers bemächtigen, die dann ähnlich handelten, wie der olle James Schlitzear.