Zum Ausstieg an der Börse wird (nicht) geklingelt ...

  • Der Autor ist Chefredakteur des CHARTANALYST/OPTIONSBRIEF und des neuen KAPITALSCHUTZ-BRIEF, der seit November 2003 monatlich erscheint und seinen Lesern konkrete, sicherheitsbetonte (und dennoch spekulative) Empfehlungen zu Finanzmärkten, Absicherung und Vorsorge gibt.




    Rauchzeichen des Aufschwungs?


    Sind Sie Autofahrer? Schwupps - schon haben Sie den ersten Bonuspunkt gewonnen! Fahren Sie, natürlich ohne jedes Statusdenken, so ein bisschen was Größeres, einen Range Rover 4.6 HSE beispielsweise, der sich bei vorsichtiger Fahrweise mit 18 Litern Super bescheidet, für so genannte sportlichere Auftritte aber auch gerne einmal 30 Liter inhaliert? Schon wieder sind Sie ein Feld weiter! Rauchen Sie? Ja? Hoppla - jetzt sind Sie noch ein Ründchen vorgerückt. Letzte Frage: Sind Sie Kettenraucher? Sagen wir mal, ab 60 Glimmstengelchen aufwärts? Ja? Dann haben Sie sich das Eichellaub in Gold verdient - Sie sind Finanzministers Liebling! Warum?


    Weil von jedem Liter Super, den Sie für 1,07 € in den Tank Ihres kleinen Benzinfresserchens schütten, 80,03 Cent beim Bundesfinanzministerium landen. Bezogen auf den versteuerten Warenwert, eine Steuerlast von über 300 Prozent. Jede (komplette) Tankfüllung Ihres Range Rover ist nichts anderes als eine Überweisung von 86 Euro nach Berlin. Schockiert? Darauf sollten Sie erst mal eine rauchen! Apropos: Anfang März steigen die Zigarettenpreise. Nicht nur wegen der Steuer, die Hersteller haben noch 'was draufgelegt. Ab Januar 2006 wird's dann noch mal ein wenig teurer. Von den rund 22 Cent, den Ihre Dunhill, Camel, Lucky Strike oder Gauloise dann kosten wird, gehen 18 Cent aufs Konto des dann amtierenden Finanzministers. Das macht einen Steuersatz von 450 Prozent. Im Monat sind das, für den weiter oben angenommenen Starkraucher von 60 Zigaretten pro Tag unterstellt, 329,40 €. An Steuern. Am Rande bemerkt: Als normaler Arbeitnehmer bezahlen Sie dieses Benzin und diese Zigaretten mit Ihrem Gehalt - das Sie bekanntermaßen bereits einmal versteuert haben.


    Macht nichts, werden sich manche sagen, schließlich tue ich ja ein gutes Werk! Gewiss. Sie helfen mit, die Steuerlücke des gescheiterten verdeckten Steuererhöhungsprogramms Toll Collect zu schließen, das auf Sicht die in den Supermärkten angebotenen Waren für uns alle verteuern wird. Lieb. Außerdem unterstützen sie die Zahlungen Deutschlands an den bürokratischen Moloch EU-Kommission, die ihren Etat angesichts der im Mai fälligen Osterweiterung der EU dringend aufstocken muss. Manche verstehen das. Andere anscheinend nicht. Warum, fragen sich diese anderen, hatte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 04. Juli 1776 nur 300 Worte, während die EU-Verordnung über den Import von Karamelbonbons 29.911 Worte zählt?


    Joschka Fischer, von Bayerns CSU-Landesgruppenchef Michael Glos gerade als ehemaliger Terrorist beschimpft, lobte die kommende EU-Erweiterung mit dem schönen Hinweis, dass "Deutschland dadurch auf die Sonnenseite der historischen Entwicklung" komme. Na ja. Mehrere Hunderttausend teilweise hochqualifizierter Arbeitnehmer, die sich nicht um geringsten um Arbeitszeiten, Überstunden oder Urlaubsregelungen kümmern, werden eine neue Völkerwanderung beginnen. Und sie werden die Arbeitsplätze besetzen, die deutsche Arbeitnehmer, im 35-Stunden-Korsett der Gewerkschaftshymnen gefangen, nicht mehr wahrnehmen wollen. Unpatriotische Unternehmen werden diese Tendenz verstärken und einheimische Arbeitsplätze abbauen und in Richtung Ost/Fernost verlagern. Unpatriotisch? Welche Wahl bietet sich den Unternehmern denn, wenn Arbeitsuchende in Polen, Tschechien, Ungarn und Bulgarien für die Hälfte, Inder und Chinesen für Bruchteile des deutschen Durchschnittslohns arbeiten?


    So und nicht anders sieht die aktuelle Problematik aus, von denen Ihnen die Vertreter aller Parteien kein einziges Wort erzählen. Wie auch immer: Egal, ob die deutschen Arbeitnehmer mit ihren Löhnen deutlich herunter gehen, wie auch vom Münchener Ifo-Institut gefordert, oder aber ausländische Arbeitnehmer ihre Jobs für die Hälfte oder drei Viertel der heute üblichen Arbeitsentgelte anbieten: Leidtragende werden die bereits heute ums Überleben ringenden Sozialkassen sein. Und das Steueraufkommen der öffentlichen Hand. Otto Normalverbraucher scheint zu ahnen, was da auf ihn zukommen könnte: Während die Anzahl der europaweit verkauften Neufahrzeuge im Januar um 1,4 Prozent zurückging, sackte sie in Deutschland um 12,1 Prozent weg. Das sind Zahlen, wie sie nicht zum angeblichen wirtschaftlichen Aufschwung, sondern zum Beginn einer Depression passen! Und: Wer sich den Kauf eines Autos zweimal überlegt, der tut das auch mit der Anschaffung eines neuen Fernsehgeräts, einer Tiefkühltruhe oder einer Immobilie!


    Nicht anders die Situation in den USA. Zwar attestierte Alan Greenspan in seiner Rede vor dem US-Kongress am vergangenen Dienstag der amerikanischen Konjunktur einen robusten Aufschwung, die in der gleichen Woche veröffentlichten Daten zu den Einzelhandelsumsätzen, den Arbeitsmarktdaten, der Handelsbilanz, den Hausverkäufen und dem Verbrauchervertrauen erinnerten indes eher an eine wirtschaftliche Kontraktionsphase. Besonderes Augenmerk verdient zweifellos die Verschlechterung der Handelsbilanz. Denn wenn es den Vereinigten Staaten trotz des eingebrochenen Dollarkurses nicht gelingt, ihre Exporte auszuweiten und die Importe zu drosseln, was (außer Arbeitsplätzen) wollen die USA dann ausführen, wenn der Greenback einmal wieder stärker wird? Und bitte: Sehen Sie die Konjunkturdaten der vergangenen Woche bitte vor der Kulisse des schärfsten Zinssenkungsmarathons, den die Federal Reserve jemals absolviert hat. Vor dem Hintergrund eines so nicht wiederholbaren Steuersenkungsprogramms durch die Bush-Administration. Und aus der Perspektive eines US-Bundeshaushalts und einer Leistungsbilanz, die beide pro Tag mit 1,5 Milliarden US-Dollar vom Ausland alimentiert werden müssen, um nicht sofort in den Offenbarungseid zu kippen. Schulden, die sich durch die schleichende Dollarentwertung auf wundersame Weise nach und nach in heiße Luft aufzulösen scheinen.


    Kein Börsianer wird später einmal sagen können, von irgend welchen dunklen und unvorhersehbaren Entwicklungen überrascht und um seine schönen Gewinne gebracht worden zu sein. Denn die Fakten liegen auf dem Tisch, für jeden sichtbar. Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, die sich daraus ergebenden Entwicklungen zu erkennen.


    Zugegeben: Die Illusion ewig weiter steigender Kurse, einer tatsächlichen konjunkturellen Erholung und in die Zukunft hochrechenbarer Kursgewinne ist weitaus verlockender als die Realität. Und so lange die Lemminge Hausse spielen, sollte man sich hüten, sich ihnen in den Weg zu stellen. Bedenken Sie hierzu: 1999 und bis Mitte 2000, also auf dem Allzeithoch der Börse, kauften vor allem die deutschen Versicherer an der Börse nahezu alles, was nach Aktie roch.


    Dem schlossen sich drei Jahre leiser werdender Durchhalteparolen an, bevor der Markt, diesmal nahezu genau am Tief, die Glattstellung dieser Positionen erzwang. Heute, nach fast einem Jahr steiler Aufwärtsrallye, reduzieren viele Assekuranzen ihre Immobilieninvestments, um mehr Aktien kaufen zu können. "Stimmt" das Timing auch diesmal wieder, dürfte das Ende der Aufwärtsbewegung nicht mehr allzu weit entfernt sein.


    Reizen Sie die Rallye aus, so lange es noch geht. Aber vergessen Sie nicht, dass sich auch in der Baisse kräftig Geld verdienen lässt - und das meistens sogar erheblich schneller als in den vermeintlich "guten" Börsenphasen! Sentimenttechnisch wurde bereits zum Ausstieg geklingelt, charttechnisch fehlen hierzu (nur) noch einige Punkte. Zeit genug für eine Zigarette allemal!


    Axel Retz




    Quelle:
    http://nachrichten.boerse.de/anzeige.php3?id=804c8d78



    mfg
    Hallo

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