Die Wasserfrage - ein Weltproblem von Marie Hélène Miauton zf. Wasser ist - dazu braucht es keine grossen wissenschaftlichen Abhandlungen - ein lebensnotwendiges Element: Ohne Wasser kein Leben. Dass heute militärische Analysen davon sprechen, nächste Kriege könnten sich auch ums Wasser drehen, und dass im Rahmen der WTO-Verhandlungen zu Gats (General agreement on Trade in Services) auch die Verpflichtung zur Privatisierung der Wasserversorgung verhandelt wird, sollten Anlass genug sein, sich mit dem Thema Wasser grundsätzlich auseinanderzusetzen. Eine Anregung dazu bringt die Autorin des nachfolgenden Artikels. «Die Chronik» von Marie Hélène Miauton erscheint in der französischsprachigen Schweizer Zeitung «Le Temps». Im folgenden drucken wir die Kolumne vom 9. Januar 2004 in ihrem Wortlaut ab. Einige Tage in Jordanien. Kaum Zeit, die Ruinen von Petra zu bewundern und, geblendet, etwas in einer Wüste zu marschieren, die schon rein von der Geologie her einen quälenden Eindruck hinterlässt, - aber genug, um die Dringlichkeit des Wasserproblems zu erkennen. Der Boden ist derart karg und ausgetrocknet, dass es 120 Liter Wasser braucht, um ein Kilo Tomaten zu produzieren. Während der niederschlagsarmen letzten Jahre ist die landwirtschaftliche Produktivität zeitweise um 30% gesunken. Trotzdem verbraucht ein Beduine im Durchschnitt für alle seine täglichen Bedürfnisse lediglich 20 Liter Wasser am Tag, sehr wenig gegenüber den durchschnittlich 250 Litern, die ein Europäer pro Tag verbraucht, und den 500 Litern, die man zur Verfügung hat, wenn man Nordamerikaner ist. Fachleute prognostizieren, dass Jordanien im Jahre 2025 über 91 Kubikmeter Wasser pro Einwohner verfügen wird, das angrenzende Israel jedoch über 260. Warum? Die Antwort ist einfach, wenn man vom Flugzeug aus den Unterschied der Wassernutzung beidseits der Grenzen, etwa im Wadi Araba und dann im Jordantal, ermisst. Aus weniger als hundert Metern Distanz zeigt sich dabei folgendes Bild: Auf der einen Seite, in Israel, riesige Kulturen, grosszügig mit Sprenganlagen bewässert, und unbedeckte Wasserreservoirs (die Verdunstung lässt grüssen!); auf der anderen Seite, in Jordanien, kärgliche Rinnsale in mickrigen Wassergräben. Ganz offensichtlich betreiben die einen Übernutzung, während die anderen mit zäher Mühe dem Boden kaum das entreissen, was sie zum Überleben brauchen. [...] Von da aus braucht es nicht viel, um zu ermessen, dass die nächsten Konflikte auf ein Ziel zentriert sein werden: das Verfügen über das Wasser. Die Macht der Beliebigkeit, welche Äthiopien dank des Verlaufs des Nils über Ägypten und den Sudan innehat oder die Türkei über den Irak und Syrien dank der Quellen von Euphrat und Tigris, ermöglichen ihnen jede Art von Erpressung. Dazu kommt noch die strategische Dimension der Kurdenfrage in diesem Bereich sowie die entscheidende Bedeutung der Frage des Verfügens über das Wasser im israelisch-palästinensischen Konflikt. In diesem Zusammenhang drängt sich eine Frage auf: Wäre es nicht dringlich, das Wasser zu «neutralisieren», was bedeuten würde, dass man den natürlichen Wasserreserven einen speziellen Status gibt, sie aus der territorialen Verfügbarkeit herausnimmt und der hohen Kontrolle der Uno unterstellt? Man sollte damit zweifellos nicht mehr lange zuwarten, denn die Fälle häufen sich, wo Länder die Verfügung gewaltsam an sich reissen, wo Wasser übernutzt und umgeleitet wird. Immerhin jagten sich in den letzten 25 Jahren die diesem Thema gewidmeten Konferenzen und internationalen Symposien. Die Unseco-Konferenz von 1998 hatte zum Titel «Das Wasser, eine drohende Krise», und das Jahr 2003 wurde von der Uno zum «Internationalen Jahr des Wassers» erklärt. Trotzdem tut sich nichts. Natürlich ist das Problem der Entstaatlichung des Wassers nichts Einfaches. Wie weit soll man gehen? Auch das Erdöl ist ein äusserst wichtiger Rohstoff. Aber ohne Trinkwasser überlebt der Mensch drei Tage und keinen Tag mehr. Wenn es wirklich die Aufgabe der Uno ist, die strategischen Fragen unseres Planeten in die Hand zu nehmen, dann muss sie sich der Wasserfrage selbst stellen und dies schnell, energisch und ohne die geringste politische Konzession. Denn hier handelt es sich um die wirkungsvollste Massenvernichtungswaffe, die je existiert hat, viel bedrohlicher als wer weiss welches Spielzeug eines Tyrannen. Was die Schweiz betrifft, so ist sie so reich an diesem Rohstoff, dass sie nicht so schnell in den Verdacht kommen wird, sie verteidige ihre eigenen Interessen. Könnte nicht gerade die Schweiz Lösungen in diesem Bereich vorschlagen, ein Land, das verzweifelt nach internationalen Aufgaben sucht, die ihm entsprechen?