Die folgende Geschichte aus dem Spiegel 16/2000 möchte ich euch nicht vorenthalten. Interessante Lektüre, liest sich spannender als die Millenium-Trilogie von Stieg Larsson.
http://wissen.spiegel.de/wisse…600500055.pdf&thumb=false
1. Teil
Gold in der Backröhre
Von Bönisch, Georg und Tietze, Wolfgang
Akten der Gauck-Behörde enthüllen eine der verwegensten DDR-Karrieren: Ein Geheimdienstler, der aus dem Ruder gelaufen war, baute sich ein Geldimperium auf und schmierte höchste Genossen - und niemand kontrollierte ihn.
Die Affäre mit den Hitler-Köpfen war der Regierung in Ost-Berlin hochnotpeinlich. Sie sollte schnell und vor allem geräuschlos erledigt werden - ein Fall für die Staatssicherheit.
Im Jahr 1976 hatten Unbekannte in der angeblich faschistenfreien DDR zehntausende Zwanzigmarkscheine mit Hitler-Porträts verschmiert und in Umlauf gebracht, überall in der Republik. Stasi-Offiziere rotierten, in einer geheimen Operation mit dem Decknamen "Note" fischten sie die Scheine vom Markt - schließlich waren Banknoten im Wert von 580 000 Mark beisammen.
Um die unbrauchbaren Scheine kümmerte sich ein vermeintlich vertrauenswürdiger Offizier: Günter Wurm, Jahrgang 1935 und zuletzt Leiter der Stasi-Abteilung XVIII/4. Wurm hatte die besudelten Papierstapel zur Staatsbank gebracht, wo sie vernichtet werden sollten. Doch er passte den Auftrag seinen eigenen Bedürfnissen an. Zwar lieferte er die Scheine bei der Bank ab - aber dann herrschte er den zuständigen Bediensteten an, ihm im Austausch sauberes Geld zu geben, angeblich weisungsgemäß. Der Mann in der Bank, so funktionieren Polizeistaaten, parierte.
Wurm steckte das frische Geld ein, und jahrelang kam ihm niemand auf die Schliche. Doch der erfolgreiche Betrug war für ihn nur ein kleiner Fisch. Heute, zehn Jahre nach der Wende, enthüllen Aktenfunde in der Berliner Gauck-Behörde seine ganze Karriere - und mit ihr den größten Wirtschaftskrimi der DDR-Geschichte. Knapp zwei Jahrzehnte lang, von Anfang der sechziger Jahre bis 1980, hatte Wurm klammheimlich ein Vermögen angehäuft: kiloweise Gold, Millionen von West-Mark, Edelsteine, Schmuck und Münzen. Mitten in der Diktatur verfügte er darüber wie ein Duodezfürst - eine Staats- und Stasi-Affäre.
Die Akten waren streng geheim, denn der Kriminalfall Wurm hatte sich auch bald zu einer beispiellosen Korruptionsaffäre entwickelt, in die Politiker, Funktionäre und Stasi-Offiziere verstrickt waren.
Es war die Stasi selbst, die Wurm auf die schiefe Bahn setzte: Jahrzehntelang hatte das Regime seinen Bürgern auf kriminelle Weise Gold, Juwelen oder Antiquitäten abgenommen, um sie im Westen verscherbeln zu können. Bei der Stasi ging ein Reim um: "Devisennot kennt kein Gebot."
Eine der rabiatesten Operationen, Anfang der sechziger Jahre, trug die Tarnbezeichnung "Aktion Licht" (SPIEGEL 51/1997). Die Stasi brach tausende, meist seit der Nazi-Zeit verwaiste Bankschließfächer auf und plünderte sie.
Über tausend Beutestücke erbrachte Aktion Licht: Handschriften von Goethe und Napoleon, Bilder von Dürer und Rembrandt, Diademe, Orden und wertvolle Briefmarkensammlungen. Als alles einkassiert war, suchte die Stasi verdeckt nach "gewinnbringenden Verwertungsmöglichkeiten ... im Operationsgebiet", also Westdeutschland. Die Arbeitsgruppe "Konto" wurde gebildet; sie war erfolgreich. Über vier Millionen West-Mark brachte der Verkauf.
Nur konnten die Stasi-Mannen die West-Millionen nicht einfach nach Ost-Berlin überweisen, die Devisengesetze im Westen verboten das. Sie schmuggelten das Geld über die Grenze, dabei bewährte sich auch Wurm, so dass ihm die Stasi-Oberen von nun an in Gelddingen trauten.
Wenig später, im April 1964, hatte die DDR-Führung Stasi-Mitarbeiter und Ökonomie-Experten in einem Schreiben aufgefordert, darüber nachzudenken, wie "am offiziellen Außenhandel vorbei Devisengewinne erwirtschaftet" werden könnten.
Damals entstand die Idee, im Ost-West-Geschäft so genannte Vertreterfirmen zu installieren, eine moderne Form der Wegelagerei. Wollte ein West-Unternehmen nun mit einer DDR-Firma Geschäfte machen, musste es dafür eine solche Vertreterfirma einschalten, die den Auftrag vermittelte und dafür Provisionen einstrich - in West-Mark.
Die Vertreterfirmen wurden gesteuert von einem neu geschaffenen staatlichen Sonderapparat, dem Bereich "Kommerzielle Koordinierung", kurz KoKo genannt. Das Rennen um den Chefposten machte 1966 ein Mann, der immer noch geheimnisumwittert ist - Alexander Schalck-Golodkowski.
Doch die Stasi-Oberen wollten sich offenbar nicht nur auf Schalck verlassen. Im Geheimen schufen sie sich zur gleichen Zeit eine eigene Mini-KoKo: Nur ganz wenige wussten von der Gründung der Scheinfirma an der Ost-Berliner Rathausstraße, die im Handelsregister nicht auftauchte. Ihr Chef: der bewährte Günter Wurm. Er gab ihr einen unverfänglichen Namen: "Industrievertretung"; das Geschäftsprinzip war das gleiche wie bei den KoKo-Vertreterfirmen.
Wurm kassierte die Provisionen von "kapitalistischen Geschäftspartnern" (Stasi-Vermerk), fünf bis zehn Prozent, wie "international üblich". Dadurch "hatte Gen. Wurm erhebliche Deviseneinnahmen", hielt die Stasi später fest.
Bis 1970 sollen Wurm und seine Stasi-Gehilfin Ursula W., die bald seine Geliebte wurde, die Gewinne ordnungsgemäß bei Finanzminister Siegfried Böhm abgeliefert haben - 400 000 bis 600 000 West-Mark jährlich in bar, ohne Quittung.
Der Kleinstbetrieb Industrievertretung, zu dem nur noch der Inoffizielle Mitarbeiter (IM) "Felix" gehörte, entwickelte sich in der Folge ganz prächtig. Wurm kaufte bald mit seinen Einnahmen im Westen, was in der DDR an modernem Gerät fehlte: Geldtransporter für die Staatsbank oder Abhörgeräte für Erich Mielkes Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Wie parallel zu ihm der große Schalck machte sich auch der kleine Wurm unentbehrlich.
Doch dann lief Wurm aus dem Ruder und änderte seine Geschäftspraxis. Statt die Gelder abzuführen, zahlte er sie nun auf Konten ein, für die nur er zeichnungsberechtigt war - unter dem Falschnamen "Dr. Berger".
Manchmal hob er das Geld wieder ab und deponierte es daheim oder in seinem Bürotresor. Um das viele Bare sicher anzulegen, ließ er über einen West-Berliner Kaufmann hauptsächlich in der Schweiz Goldbarren besorgen, die dann illegal eingeführt wurden.
Niemand in der sonst so repressiven DDR kontrollierte Wurm und die Genossin W. Vielleicht wollte ihn auch niemand kontrollieren. Denn Wurm hatte plötzlich Einfluss und Macht. Seine "beträchtlichen Deviseneinnahmen" aus den Provisionsgeschäften, notierten später Untersuchungsbeamte der Staatssicherheit, hätten ihm zu "weit reichenden persönlichen Kontakten und Beziehungen" verholfen, "auch in Bezug auf leitende Funktionäre". Ständig "erhöhten sich die Wünsche, die an ihn herangetragen wurden".
Ein nettes Wort am anderen, das entscheidende aber fehlte: Korruption.