Ich eröffne hier ein neues Thema, weil ich mir diese Diskussion spannend und lustig vorstelle. Vorweg möchte ich erklären, dass ich begeisterter Gold- und Silverbug bin und dieses Forum exzellent finde. Hier möchte ich aber mal die Möglichkeit schaffen, über religiöse oder pseudoreligiöse Gefühle zum Thema Gold zu reflektieren. Ja, auch mit einem Augenzwinkern. Damit möchte ich solche Gefühle nicht kritisieren, auf keinen Fall! Ich schätze alle Goldbugs und bin einer von ihnen geworden! Religiöse Gefühle stellen sich zwangsläufig bei allem ein, was uns Menschen wichtig ist, und so natürlich auch bei Gold. Vielleicht gerade bei Gold!
Ich möchte dieses Thema mit der steilen These eröffnen:
Gold ist die von Goldbugs gelebte Religion.
Mit der Religion des Goldes meine ich sowohl systematische Religion mit ausgeprägter Theologie, als auch eine Kulthandlung im antiken Sinne (religionsphänomenologisch vergleichbar mit dem modernen Kulten „Fußballstadion“ oder „Kinobesuch“).
In diesem ersten Posting werde ich nur zur theoretischen Theologie des Goldes schreiben, noch nicht zum kultischen Geschehen selbst.
Es gibt eine gemäßigte große Masse – vergleichbar mit einer Volkskirche, wo viele nur zu seltenen Gelegenheiten in die Kirche kommen. Und es gibt einen inneren („esoterischen“ = inneren) Zirkel, der das Gold mit mehr Leidenschaft und Zeitaufwand verehrt. Der innere Zirkel versteht sich in Religionen oft als besonders eingeweiht oder berufen.
Diese sieben theologischen Elemente der Goldreligion will ich zur Diskussion stellen:
A)
Gold als mythisches Symbol
Im Gegensatz zu Silber, Nickel und anderem ist Gold kein (primär) industriell wichtiger Rohstoff, sondern für unsere materiellen Belange eigentlich überflüssig. Seinen hohen Wert erhält Gold aufgrund von Irrationalität. Es ist einfach das Gefühl der Menschen, dass dieses seltene Metall sehr wertvoll sein muss. Es oxidiert nicht, es glänzt so schön, die Farbe erinnert an Sonnenlicht. Die christlich-orthodoxen Ikonen werden auf goldenen Hintergrund gemalt (Gold als Symbol göttlicher Erleuchtung). Die alten Germanen verehrten Gold als Fleischwerdung des Sonnenlichtes, als magisches Element Odins. Das Familiengold ist der Sitz des Familienheils, und vom mythischen Ring „Draupnir“ (der „Tröpfelnde“) heißt es, dass er untentwegt neues Gold produziere. Dem entspricht die moderne Redewendung: Wer Gold hat, hat immer Geld. Gold ist kein Industrierohstoff, seinen hohen Wert gewinnt Gold allein aus der Symbolwelt der Mythen, der Gefühle, des Sinnes, der Ästhetik. Wie ein schönes Musikstück von Richard Strauß.
B)
Gold als Heilsbringer
Signatur vom Forumsmitglied „Osterhase“: „GOLD schütze die Fleißigen & Mutigen aller Länder vor den Schmarotzern & Bequemen aller Varianten“
GOLD erscheint hier (witzig, aber auch halbwegs ernst gemeint) als Heilsbringer. Oft liest man im Goldseitenforum, dass die Einführung einer goldgedeckten Währung (Goldstandard) nicht nur uns Goldbesitzern großen Profit, sondern der gesamten Volkswirtschaft Stabilität und nachhaltiges Wachstum ermöglichen würde.
Gold nimmt hier (halb scherzhaft, halb ernst gemeint) die Position eines heilsbringenden Gottes ein. Ich behaupte nicht, dass Goldbugs zu Gold beten. Aber Gold wird zum Fokus der Heilserwartung. Das soll keine Kritik an Osterhase sein! Ein sehr guter Einfall!
C)
Die astrologische Weltsicht
Die Religion des Goldes offenbart sich im Goldseitenforum als „synkretistisch“. Das heißt: Sie hat keine Probleme damit, Modelle anderer Traditionen zu integrieren und zum integralen Bestandteil der eigenen Religion zu machen. Als deutlichstes Beispiel ist die Astrologie zu nennen. Astrologie ist ursprünglich daraus entstanden, dass in der Antike jeder Planet einen Gott repräsentiert, und je nach Zeitpunkt verschiedene Götter verschieden stark Einfluss auf uns ausüben. Der moderne Goldbug bezieht dieses polytheistische Spiel souverän auf Gold. Damit wird Gold zu einem göttlichen Zeichen. Am Goldkurs offenbart sich der Wille der Götter. Und das nicht umsonst. Ein echter Goldbug glaubt daran, dass Gold als Erzfeind der westlichen Zentralbanken und verlässlicher Prophet des jüngsten Gerichts (weltweite Währungs- und Wirtschaftskrise nach Zusammenbruch des Dollars) eine entscheidende Rolle im Schicksal der Menschheit spielt.
D)
Gold als der Prophet, der gesteinigt wird
Gold ist dazu berufen, die Schwäche und Verwerflichkeit des Papiergeldes anzuprangern (Inflationsgefahr sollte man am steigenden Goldpreis ablesen können). Doch genau deshalb versuchen die westlichen Zentralbanken, den Goldpreis unten zu halten. Einmal mehr steinigen die Mächtigen die Wahrheit selbst, das Wort Gottes, dass aus dem Munde der Berufenen zu uns kommt, um uns zu warnen vor dem sich ankündigenden Unheil.
E)
Die materielle Welt als Sphäre des Bösen
Ob bei Platon oder bei Paulus, in der Antike glaubten die Menschen bereits an den ewigen Kampf der lichtvollen Seele gegen die finstere materielle Welt. Der Hintergrund dieser Kosmologie: Die materielle Welt ist zwar göttliche Schöpfung, aber zugleich auch eine Verunreinigung des göttlichen Willens. Je wirklicher der göttliche Wille im irdischen Sinne wurde, desto unreiner musste er auch werden (Emanation). Der Mensch ist ein fleischliches Wesen, in dem der göttliche Lichtfunke, die Seele, versteckt und verborgen lebt. Es ist das Schicksal dieser Seele, den Gegenpart zu den fleischlichen Lüsten des Körpers zu spielen. Das Heim der Seele ist nicht diese Welt, sondern das Reich Gottes, also die jenseitige Welt. Für den Goldbug erscheint diese Welt als ein Reich, das von finsteren Mächten beherrscht wird: Von Zentralbanken, unmoralischen Marionettenregierungen, geistlosen Hegdefonds und vielleicht auch einer Illuminati-Verschwörung der Rothschilds und Rockefellers. Je reicher oder mächtiger ein Mensch im materiellen Sinne ist, desto wahrscheinlicher ist er auch „einer von denen“. Zitat Paulus, Epheserbrief 6,12: „Denn unser Ringkampf geht [...] wider die Gewalten, wider die Mächte, wider die Beherrscher dieser Welt der Finsternis“
F)
Die Tendenz zur Polarisierung
Die eingeweihten Goldbugs kann man an ihrer Bereitschaft erkennen, immer mehr Anzeichen unser aller tragischen Schicksals zu erkennen. Je länger man sich in der Religion des Goldes übt, desto mehr Anzeichen für die schicksalshafte Bedeutung des Goldes erkennt man auf Schritt und Tritt. Überspitzt formuliert: Die ganz Eingeweihten erkennen sogar im Busfahrplan die Auswirkungen des schicksalshaften Kampfes zwischen Gold und Böse. Mit fortschreitender Verinnerlichung werden immer mehr Elemente der Lebenswelt in die Polarität Gold und Böse einsortiert. Man gewöhnt sich ein schwarz-weiß-Denken an. Ein Schlechtes hat die Polarisierung aber: Mit zunehmender Polarisierung schwindet auch die Menge der Verbündeten („Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“). Je radikaler man polarisiert, desto weniger Menschen stehen noch auf der eigenen Seite. Zum Schluss hat der Goldbug das Gefühl, der einzige Vernünftige in einer verrückten Welt zu sein, und die restliche Welt hat das Gefühl, der Goldbug wäre total verrückt.
G)
Die Apokalypse als Zielpunkt unseres Schicksales
Schon die ersten Christen lebten im Glauben, dass noch zu ihren Lebzeiten die Apokalypse eintrifft – ein schrecklicher Tag der Zornes Gottes, an dem alle schlechten Menschen bestraft werden, alle Guten errettet, und die ganze Wahrheit offenbar wird. Nach der Apokalypse beginnt dann das „goldene“ (!) Zeitalter, in dem die Menschen frei von Sünde mit Gott zusammen im Paradies leben. Die Apokalypse erregt unsere Furcht angesichts ihrer epischen Gewalt, aber auf sie vertrauen auch alle Menschen, die ihr Leben als ungerecht empfinden und sich von der Apokalypse die ultimative Gerechtigkeit erhoffen, die sie für erduldetes Leiden entschädigen soll. Das ist schon seltsam: Alle glauben, in der Apokalypse werden sie entschädigt und den anderen ergeht es schlecht... Ähnlichkeiten mit den Szenarien der Goldbugs sind nicht rein zufällig. In der kommenden Währungskrise sollen also die einst so profitablen Aktienfonds, eigentlich alle anderen materiellen Werte, zerstört werden, das lange geprügelte Gold soll rehabilitiert werden, die Goldbugs werden für ihre weise Voraussicht mit Wohlstand belohnt. Das geht einher mit einer globalen Wirtschaftskrise, in der die Dekadenz endlich gedemütigt wird und der Goldbug sich ein Haus für 200 Gramm Gold kaufen kann. Ich sage nicht, dass dies nicht eintreffen wird. Ich glaube sogar selbst, dass dies in den nächsten 10 Jahren eintreffen wird. Aber ich sage auch: Diese Vorstellung ist auch religiös geprägt und verbindet sich mit anderen religiösen Vorstellungen zur Religion des Goldes.
Provozierendes Fazit:
Seit der französischen Revolution versuchen wir Europäer, uns von der Bevormundung der Religion zu lösen. Doch nach wie vor muss jeder Mensch seine persönliche Suche vollenden: Welchen Sinn hat mein Leben und welchen Sinn hat das Weltgeschehen? Mit welchem Handeln verleihe ich meinem Leben Sinn?
Die Wissenschaften können diese wichtigsten Fragen des Menschen nicht beantworten, weil es Fragen nach Sinn und Unsinn sind, nicht nach Machbarkeit.
Es ist nicht nur in Ordnung, es ist sogar notwendig, dass jeder seine persönliche Religion entwickelt, die seinem Leben einen Sinn verleiht.
Die Frage ist nur:
Was für einen Gott findest du da?
Luther sagt: Dein Gott ist, woran du dein Herz hängst.
Rät dein Gott dir etwas, wenn du verzweifelt bist?
Tröstet er dich, wenn du arm und pflegebedürftig bist?
Hilft er dir, dem Tod gelassen ins Angesicht zu lächeln?
Macht er dich frei, oder macht er dich zu seinem Sklaven?
Planwandler