Ein exellenter Artikel heute aus der NZZ.
Wie ich schon vor 2 Wochen erwähnt habe erwartet man einen neuen massiven Wirtschaftsboom in den USA, neue billige Geldern sei Dank:
Amerika bläst seine Wirtschaft auf
Die USA könnten dank immensen Hilfspaketen die Pandemie und die damit einhergehende Wirtschaftskrise schon dieses Jahr hinter sich lassen und so stark wachsen wie seit 1984 nicht mehr. Davon profitiert auch der Rest der Welt. Der provozierte Konsumboom hängt aber an schuldenfinanzierten Transferleistungen und ist nicht nachhaltig.
Vergangene Woche hat der amerikanische Präsident Joe Biden mit seiner Unterschrift den American Rescue Plan in Kraft gesetzt. 50 Tage nach Amtsantritt konnte Biden ein erstes grosses Wahlversprechen einlösen. Das neuste Corona-Hilfspaket soll gegen 2 Billionen Dollar in die US-Wirtschaft pumpen. Es folgt auf die vier Programme, die 2020 unter Präsident Donald Trump zustande kamen. Insgesamt hat die US-Bundesregierung damit innert zwölf Monaten rund 6 Billionen Dollar gesprochen. Selbst wenn am Schluss nicht all diese Gelder fliessen: Es sind unvorstellbare Summen. Ein Fiskalimpuls von rund 25 Prozent der Wirtschaftsleistung in so kurzer Zeit als Reaktion auf die Pandemie, das ist auch im internationalen Vergleich beispiellos.
Amerikas Corona-Hilfspakete stellen alles in den Schatten
2In Dimension, Zusammensetzung und Timing von Bidens Rettungsplan scheiden sich die Geister. Allein, die bedingungslosen Direktzahlungen an die Bevölkerung und die Kindergelder, die in Form von Steuergutschriften ausgerichtet werden, sind in Amerika populär. Welche vierköpfige Familie mit zwei jungen schulpflichtigen Kindern und einem Einkommen von 75 000 Dollar freut sich nicht auf die 8200 Dollar, die ihr nun zustehen? Trotzdem hat im Kongress kein einziger Republikaner für das Paket gestimmt.
Vor allem aber gehen unter Ökonomen die Meinungen auseinander. Die einen befürworten das «Klotzen statt Kleckern». Es soll verhindern, dass Amerika bleibende Schäden in Form von Langzeitarbeitslosen und (noch) mehr Ungleichheit aus der Pandemie davonträgt. Die Hilfe zahle sich aus, wenn jemand deswegen sein Unternehmen, sein Dach über dem Kopf oder seine Ernährungssicherheit nicht verliere, sagt die Finanzministerin Janet Yellen. Die anderen befürchten die Verschwendung von Staatsgeldern, eine Überhitzung der Wirtschaft und die Folgen der explodierenden Staatsverschuldung.
Welche der beiden Seiten wie sehr recht hat, wird man erst in einigen Jahren wissen. Eine Reihe von Beobachtungen und Schlüssen drängt sich aber bereits heute auf.
1984 legte die US-Wirtschaft letztmals um über 5 Prozent zu
- Die grosszügigen Hilfspakete haben dazu beigetragen, in den USA eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Zeitweise sah es nach einem pandemischen Flächenbrand aus, der einen grossen Anteil der Bevölkerung dahinrafft. Damit einher ging ein brutaler Wirtschaftseinbruch. Innert weniger Wochen gingen im Frühling 2020 über 22 Millionen Arbeitsstellen verloren.
Es war fraglich, ob und wann Amerika die Seuche einigermassen unter Kontrolle bringen würde und wie das Heer von Arbeitslosen angesichts des rudimentären sozialen Auffangnetzes über die Runden käme. Der Rest der Welt blickte mitleidig und besorgt auf die USA – ein schlimmerer Affront für die Amerikaner als der Hass oder die Verachtung, die ihnen sonst gerne entgegenschlagen.
- Inzwischen herrscht wieder Optimismus. Die anfangs belächelte «Operation Warp Speed», von der Regierung Trump mit 10 Milliarden Dollar aus dem grossen Hilfspaket von März 2020 auf den Weg gebracht, hat funktioniert und im Rekordtempo Impfstoffe hervorgebracht, die nun von der Biden-Regierung dank Geldern aus den nachfolgenden Hilfspaketen auch zügig an den Mann und die Frau gebracht werden.
Laut plausiblen Schätzungen sind inzwischen rund 40 Prozent der US-Bevölkerung gegen Covid-19 gefeit: entweder wegen überstandener Infektion oder wegen vollzogener Impfung.
- Der amerikanische Arbeitsmarkt erholt sich nur allmählich und weist so viele Reserven auf, dass unmittelbar kaum eine Lohn-Preis-Spirale und eine hohe Inflation drohen. Jüngst bezogen immer noch rund 2o Millionen Amerikaner eine Form von Arbeitslosenhilfe.
Ohne die Aufstockung und Erstreckung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung via die Hilfspakete ständen viele davon längst vor dem Nichts. Dank den Transfers aus Bidens American Rescue Plan lassen sich auch die kommenden Monate überbrücken.
- Nicht nur dürfte die Volksgesundheit in Bälde wieder gewährleistet sein, auch finanziell steht die Bevölkerung viel besser da als etwa nach der Rezession von 2008 und 2009. Ein guter Teil der bisher geflossenen Hilfsgelder ist gespart worden; die Rede ist von «überschüssigen» 1,5 Billionen Dollar, die darauf warten, ausgegeben zu werden.
Der Tisch ist gedeckt für einen Konsumboom, sobald sich das öffentliche Leben wieder normalisiert. Die Auguren halten 6 bis 8 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2021 für möglich – der höchste Wert seit Jahrzehnten.
- Der Wachstumssprung ist so heftig, dass der Beitrag der USA an das Weltwirtschaftswachstum erstmals seit 2005 wieder grösser ausfallen dürfte als jener Chinas. Amerika wird zwar zuallererst wieder vermehrt inländische Dienstleistungen nachfragen, aber von der erstarkenden US-Wirtschaftsaktivität werden auch der Rest der Welt und die Schweiz profitieren. Biden «rettet» nicht nur Amerika, die USA werden vorübergehend auch wieder zur Lokomotive der Weltwirtschaft.
- Die üppigen Rettungspakete signalisieren eine Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik. In den Augen der Demokraten geht es darum, die Fehler der Regierung Obama nicht zu wiederholen. Barack Obama musste in der Finanzkrise die Banken retten, unterstützte die Opfer der geplatzten Immobilienblase aber nur zaghaft. Sein auf staatliche Mehrausgaben und Steuererleichterungen fokussiertes Konjunkturprogramm ARRA von Februar 2009 griff kaum.
Aus der heutigen Sicht der Demokraten fiel der nachfolgende Aufschwung deshalb zu schwach aus, was mindestens indirekt auch den Aufstieg von Donald Trump ermöglichte. Also ist man dieses Mal bereit, direkt und bedingungslos Geld an die Wähler zu verteilen. Dass bei der Rezessionsbekämpfung unmittelbar auf den Konsumenten gezielt werden sollte, wussten im Grunde auch schon die Republikaner. So experimentierte Präsident George W. Bush bereits 2008 mit Direktzahlungen, und Trump nahm den Ball 2020 auf.
- Das Vorgehen Washingtons während der Pandemie widerspiegelt auch die Einsicht, dass die Stimulierung durch die Geldpolitik ausgedient hat. Seit der Finanzkrise herrschte in den USA der Reflex, stets neue Impulse von der Zentralbank Fed zu erwarten.
Diese ist zwar tatsächlich in der Lage, sehr lockere monetäre Bedingungen zu schaffen, kann aber Investitionen und Konsum nicht erzwingen. Finanzministerien können dagegen Geld ohne Umweg dorthin leiten, wo es am meisten gebraucht wird, ohne darauf bestehen zu müssen, dass es zurückgezahlt wird.
- Die Wiederherstellung der Arbeitsteilung zwischen finanz- und geldpolitischen Behörden entlastet die Zentralbank Fed aber nur scheinbar. Der Grund ist, dass die Corona-Hilfsprogramme praktisch ausschliesslich durch die Ausgabe neuer Staatsschulden finanziert werden.
Die US-Staatsverschuldung dürfte im laufenden Jahr auf 108 Prozent des Bruttoinlandprodukts anschwellen und damit den bisherigen Höchstwert von 106 Prozent am Ende des Zweiten Weltkriegs übertreffen.
- Als Reaktion darauf und wegen der aufgehellten Wirtschaftsaussichten sind die Renditen länger laufender Staatsanleihen jüngst gestiegen. Es gibt keinen Zweifel, dass die Zentralbank eingreifen wird, wenn es zu einer Entwicklung kommt, die den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden könnte.
Sie hat das Feld für ihre noch engere Komplizenschaft mit dem Finanzministerium bereitet, als sie im vergangenen Sommer ihr Inflationsziel nach oben anpasste und der Förderung der Beschäftigung noch mehr Gewicht gab. Statt Unabhängigkeit zurückzugewinnen, wird die Zentralbank wegen der Schuldenwirtschaft Washingtons künftig als Käuferin von Staatsanleihen erst recht von der Regierung eingespannt.
- Die Regierung Biden erkauft den Wirtschaftsaufschwung mit Schulden, was nur dank historisch niedrigen Zinsen möglich ist. Der Effekt der Hilfspakete wird bald wieder verpuffen, während die Schulden bleiben und unweigerlich zu bremsen beginnen werden.
Um einen Rückfall in die wirtschaftliche Stagnation zu vermeiden, brauchten die USA echte Produktivitätsgewinne und neue Quellen für reales Einkommenswachstum, die nicht mit staatlichen Transferleistungen verbunden sind. Wenn schon eine derart grosse Bereitschaft zum Schuldenmachen herrscht, so hätte deshalb mindestens ein Teil der in den vergangenen zwölf Monaten bewilligten 6 Billionen Dollar für produktive Investitionen reserviert werden sollen.
Das Timing für ein Infrastrukturprogramm, von dem Demokraten wie Republikaner seit Jahren sprechen, wäre ideal gewesen. Stattdessen haben die Demokraten mit dem American Rescue Plan viel politisches Kapital aufgebraucht, ohne darin Massnahmen unterzubringen, welche Land und Bevölkerung auch für die Zeit nach der Pandemie fit machen. Der Frühling 2021 wird als Wendepunkt im Kampf gegen die Pandemie eingehen, aber auch als verpasste Chance für einen echten wirtschaftlichen Aufbruch.
Der Schuldenberg erreicht einen neuen Höchststand
https://www.nzz.ch/meinung/bid…ger-aufschwung-ld.1606429