Von TOM BUHROW
Publiziert: April 27, 2010
Jeder Komiker hat einen Teil in seiner Vorstellung, in der er die Leute im Publikum fragt, woher sie kommen. Wenn einer in Paris die Antwort „Ich bin aus Europa“ bekam, dann wusste er sofort, was das bedeutet: „Sie sind aus Deutschland!“
Das war früher. Vor zehn Jahren, um genau zu sein. Zu dieser Zeit war ich Korrespondent für das deutsche Fernsehen und mein Land war noch im „wir sind nicht deutsch, wir sind europäisch“-Modus.
Dieser Tage, wenn Deutschland zögert, das insolvente Griechenland rauszuhauen, artikulieren europäische und amerikanische Partner Besorgnis, dass wir unseren Enthusiasmus für Europa für kruden Nationalismus aufgeben.
Ich denke, dass es genau andersherum ist: Es sind die anderen, die sich niemals auf ein komplettes Europa eingelassen haben, und nun sind sie erstaunt, dass unsere Kraftreserver zur Neige gehen.
Lassen Sie es mich erklären. Deutschland ist wahrscheinlich immer noch der brennendste Verfechter von Europa. Wir sind nicht nationalistischer geworden, nur realistischer. Über Jahrzehnte haben wir die Herausforderungen des Projektes „Europa“ geschultert. Wir bezahlten den Löwenanteil von allen Budgets und großen Vorhaben, die sich die EU jemals ausdachte. Wir stellten unsere nationalen Interessen hinten an.
Traumatisiert und beschämt nach dem Zweiten Weltkrieg suchten wir eine neue Identität. Wir wollten mehr Europäer als Deutsche sein. Dies war unsere Gemütsverfassung während des Kalten Krieges. Das war sogar noch eine Zeit lang so, nachdem die Mauer gefallen war.
Nach Paris ging ich 2002 nach Washington, um unser Büro dort zu leiten, und ich teilte diese Auffassung einem französischen Diplomaten mit: „Wir flirten nicht nur mit Frankreich,“ sagte ich ihm. „Wir meinen es ernst: wir wollen heiraten. Das wollten wir immer schon. Aber dieses Fenster schließt sich.“ Nicht sofort, sagte ich ihm. Wir kommen langsam mit uns ins Reine. Wir werden eine normale Nation – soweit möglich, natürlich.
Er war perplex. Er hatte es niemals so gesehen. Für eine lange Zeit war Frankreich die schöne Frau, die es gewöhnt ist, dass man ihr Komplimente macht, die aber kein Interesse hat, sich zu binden. Und irgendwie passiert das mit ganz Europa. Nicht dass damit irgendetwas falsch ist. Der „Werber“ kann immer noch anbeten oder Beziehungen aufnehmen. Aber früher oder später wird er sich an den alten Beatles-Song erinnern: Geld kann Dir keine Liebe kaufen.
Kurz vor der EU-Erweiterung wurde klar, dass eine einstimmige Entscheidungsfindung nicht länger funktionieren würde und es wurde ein wirklich förderalistischer Staatenbund diskutiert. Aber Jacques Chirac, damals französischer Präsident, sagte, dass sein Land niemals zum Arkansas vom Vereinigten Europa werden würde. Als wir ihm dann sagten, dass Frankreich Kalifornien sein könnte, sagte er, dass auch das niemals passieren würde. Es war klar für uns, dass unsere europäischen Partner sich auf „Europa“ nicht weiter einlassen wollten. Sie wollen immer noch nicht.
Aber das ist, was uns versprochen wurde, als wir die Deutsche Mark für den Euro aufgaben. Uns wurde feierlich versprochen, dass die Währungsunion das eine Bein sei und das andere eine komplette politische Union.
Die Mark war Deutschlands Flagge, unsere Identität. Die Deutschen vertrauten ihrer Zentralbank, der Bundesbank, mehr als irgendeinem Politiker. Die Bundesbank hielt die Währung stabil. Und wir liebten die Stabilität. Und wir haben das alles für einen Traum aufgegeben: die „Vereinigten Staaten von Europa“. Aber niemand träumte mit uns.
Die meisten europäischen Regierungen wollten gleichzeitig den Kuchen aufessen und ihn trotzdem noch vor sich stehen haben - politisch Nationalstaaten bleiben, während sie ökonomische Solidarität erwarteten. Das ist, wie wenn man sein eigenes Bankkonto hat und vom Nachbarn erwartet, dass er für die Überziehungen geradesteht.
Heute werden Deutsche beschuldigt, egoistisch und nationalistisch zu sein, weil sie zögern, andere Länder ökonomisch rauszuhauen. Alte Anschuldigungen werden erneut vorgebracht. Ist dies das Wesen der EU – entweder bezahlen wir die Rechnung oder unsere Vergangenheit wird gegen uns verwendet?
Die Wahrheit ist: wir würden immer noch zahlen, aber das Geld ist nicht länger da. Deutschland hat zwar noch einige starke Industriezweige, aber als Land zu wenig Wachstum, um das Problem seiner schrumpfenden und älter werdenden Bevölkerung zu meistern.
Margaret Thatcher rief einst während während der EU-Haushaltsverhandlungen: “Wir wollen unser Geld zurück!“ Stellen Sie sich vor, Deutschland hätte dies gesagt! Immerhin sprach Thatcher über ihr eigenes Geld – britische Zahlungen in die EU. Jetzt hören wir: „Wir wollen Geld!“ Punkt aus. Gut, wenn es in Europa nur ums Geld geht, dann befürchte ich, dass die Deutschen bald versucht sein könnten zu sagen: „Wir wollen unsere Mark zurück.“
Nebenbei: es geht nicht nur ums Geld. Wenn es so wäre – wahrscheinlich würden wir die Zähne zusammenbeißen und letztlich doch zahlen, wie immer. Es geht um unsere gemeinsame Währung. Wir alle gelobten, diese stabil zu halten. Wenn wir diesen Schwur brechen, diskreditieren wir die EU.
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit für ein paar klare Worte. Die Art von klaren Worten, die unsere Regierung nicht sagt. Meine europäischen Freunde, nicht wir Deutschen wenden uns von Europa ab, ihr seid es, die sich nie voll auf Europa eingelassen haben.
Wir wollten in eine größere Union einfließen, ihr wolltet nicht. Das ist traurig, aber in Ordnung. Das bedeutet nicht, dass wir nun beginnen, einander zu hassen. Wir werden auch weiterhin Griechenlands Beitrag für das europäische Erbe hochschätzen, die französische Schönheit und Kultur, die italienische Freundlichkeit, Spaniens wunderschöne Küsten und alle anderen Wunder auf diesem Kontinent lieben.
Wir werden uns gegenseitig besuchen, Geschäfte machen und in Projekte einwilligen, die Deutschland weiter finanziert. Wir werden großartige Freunde bleiben. Wir werden Euch nur nicht die Geheimzahl unserer Bankkarte sagen. Das ist einem Ehepartner vorbehalten, und wir haben lange Zeit vor dem Altar gewartet.
Tom Buhrow ist Abendnachrichtensprecher für das deutsche Nachrichtenfernsehen ARD.