Es ist oftmals ganz interessant, sich ältere Artikel noch einmal dahingehend anzusehen, wie sich die darin gemachten Aussagen aus heutiger Sicht darstellen. Ich habe dies in Bezug auf einen im Mai 2007 auf Goldseiten.de erschienenen Beitrag von Martin Siegel getan, der den von Martin Schramm in der „Welt“ veröffentlichten Artikel „Für den Kauf von Gold sprechen 7 gute Gründe“ kommentierte:
http://www.goldseiten.de/conte…/artikel.php?storyid=4531
Zu den sieben Gründen von Schramm und den Kommentaren von Siegel, die nachfolgend gekürzt aufgeführt werden, habe ich meinerseits eine Replik verfasst:
Grund 1 von M. Schramm: Der Verfall des Dollars durch die Geldmengenexplosion in den USA, die Verschuldungsproblematik und eine wahrscheinliche Wende in der Zinspolitik spre-chen für einen weiteren Verfall der US-Währung und damit weiter steigende Goldnotierun-gen.
Kommentar von M. Siegel: Der Dollar spiegelt das Vertrauen der Menschen in Papierwährungen wider. Zwar kann mit einem Dollarverfall bei gleichzeitigem Goldpreisanstieg gerechnet werden, es gibt diesbezüglich aber keinen ursächlichen Zusammenhang. In den 90er Jahren gab es beispielsweise jahrelange Phasen, in denen Dollar und Goldpreis gleichzeitig fielen.
Replik meinerseits: Es ist richtig, dass es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Dollarkurs und Goldpreis gibt. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass der Goldpreis in den zurückliegenden Jahren von der Dollarschwäche und den dahinterstehenden fundamentalen Ursachen profitiert hat. Die Entwicklung des Werts des Dollars sollte allerdings nicht nur an der Relation zum Euro gemessen werden, sondern auch zu verschiedenen anderen Währungen. Der Goldpreis hat seit 2001 in fast jedem Jahr in allen wichtigen Weltwährungen gerechnet zulegen können und im Durchschnitt dieser acht Jahre mit zweistelligen Prozentsätzen pro Jahr sowohl in US-$, in australischen und kanadischen Dollar, in €, in Yen, in Schweizer Franken, in britischen Pfund, in Yuan als auch in indischen Rupien (siehe http://www.goldseiten.de/conte…php?storyid=12032&seite=0). Der Goldpreis in US-$ und der Dollarkurs (in Euro/US-$) waren in diesem Zeitraum – eigenen Berechnungen zufolge – hochgradig positiv miteinander korreliert, und zwar mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,9. In den 1990er Jahren lag der Korrelationskoeffizient bei 0,5, d.h. der Zusammenhang war weniger ausgeprägt, der Koeffizient hatte aber das erwartete Vorzeichen (auch wenn der Zusammenhang in einzelnen Jahren tatsächlich negativ war).
Grund 2: Das Heranwachsen einer einkommensstarken Mittelschicht in China, Indien und im Fernen Osten wird zu einer steigenden Goldschmucknachfrage beitragen.
Kommentar: Dieses Argument ist stichhaltig. Dies könnte bedeuten, dass Gold nicht mehr nur als Krisenmetall gelten wird, sondern sich auch als Metall des Friedens und Wohlstands profiliert.
Replik: Ich würde das Argument noch in zweierlei Hinsicht erweitern. Zum einen sind auch andere Schwellenländer in Asien (z.B. Indonesien, Vietnam) aber auch in Osteuropa (z.B. Russland) oder Lateinamerika (z.B. Brasilien) diesbezüglich relevant. Zum anderen – um Querverbindungen zu anderen Ursachen des Goldpreisanstiegs herzustellen – betrifft der hier zugrundegelegte Einkommenseffekt, der sich positiv auf die Goldnachfrage auswirkt, nicht nur die Goldschmuck-, sondern auch die Investitionsnachfrage.
Grund 3: Eine robuste Weltkonjunktur und neue industrielle Anwendungen werden die Goldnachfrage beleben.
Kommentar: Die industrielle Nachfrage macht bei Gold nur 5% der Gesamtnachfrage aus. Eine steigende Industrienachfrage wird somit keine wesentliche Rolle für den Goldmarkt spielen.
Replik: Im Vergleich etwa zum Silbermarkt spielt die industrielle Nachfrage für den Gold-markt eine vergleichsweise unbedeutende Rolle. Dennoch ist das Argument von Schramm grundsätzlich richtig. Insofern sehe ich die Anmerkung von Siegel eher als Ergänzung zur richtigen Einordnung dieses Arguments. Auch wenn hieraus vielleicht keine wesentlichen Nachfragesteigerungen resultieren werden, kann eine Erhöhung der Nachfrage einer vergleichsweise unbedeutend erscheinenden Nachfragekomponente in einem ohnehin angespannten Marktumfeld durchaus zu Preiseffekten führen. Man sollte hier also die Wirkungskette unterschiedlicher Einflussfaktoren in den Blick nehmen, da eine isolierte Betrachtung einzelner Aspekte wenig weiterhilft.
Grund 4: China, Russland u.a. suchen nach Anlagealternativen zu Dollar-Anleihen, um ihre ständig wachsenden Währungsreserven stärker diversifizieren zu können, was die Goldnachfrage stimulieren wird.
Kommentar: Weder China, Japan, Taiwan, Südkorea noch Indien haben ihre Devisen-bestände in den zurückliegenden Jahren in Gold angelegt, Russland in zu geringem Umfang, um einen nennenswerten Einfluss auf die Goldnachfrage und damit den Goldpreis ausüben zu können.
Replik: In diesem Punkt ist Siegel von den Realitäten inzwischen überholt worden, denn Gold spielt für die Währungsreserven der genannten Länder mittlerweile sehr wohl eine wichtige und aller Voraussicht nach in den kommenden Jahren noch deutlich bedeutender werdende Rolle. Zudem verweise ich auf den engen Zusammenhang dieses Arguments zu dem Argument der rückläufigen Zentralbankverkäufe (Grund 7); in meinem Kommentar weise ich darauf hin, dass die Zentralbanken im vergangenen Quartal Nettokäufer von Gold waren.
Grund 5: Die Auflegung der Gold-ETFs hat bereits 600 t Gold vom Markt genommen und die Nachfrage von Investoren wird auch weiterhin groß sein.
Kommentar: Der Anspruch auf Auslieferung der Goldhinterlegung der ETFs ist eher theoretischer Natur. Es ist zu bezweifeln, ob tatsächlich 600 Tonnen vom Markt genommen wur-den, da das z.B. bei zentalbanken geliehene Gold vermutlich gar nicht existiert.
Replik: Alleine im Jahr 2009 kauften ETFs bislang bereits rund 550 Tonnen Gold (siehe http://www.goldseiten.de/conte…artikel.php?storyid=12090). Die skeptische Haltung von Siegel erscheint doch sehr spekulativ. Entscheidend ist im Übrigen, dass die Auflegung der Gold- und später auch Silber-ETFs vor allem den großen Investoren eine gute Anlagemöglichkeit eröffnet hat. Das starke Interesse daran belegt, dass Edelmetalle als Investmentgut inzwischen wiederentdeckt worden sind. Dieser Aspekt dürfte sich sehr positiv auf das Sentiment der Edelmetallmärkte ausgewirkt haben. Dieser Aspekt wird von Siegel offensichtlich unterschätzt bzw. ausgeblendet. Vor dem Hintergrund, dass Siegel auch Edelmetallhändler ist („Westgold“), verwundert eine solche interessengesteuerte Aussage indes wenig.
Grund 6: Die Goldproduktion geht zurück, seit 2001 um rund 5%.
Kommentar: Das Argument ist richtig. Zwar legen uns vorliegende Zahlen eher eine Stagnation nahe, aber infolge steigender Kosten und ungenügender Exploration in den zurücklie-genden Jahren lässt sich die Produktion in den kommenden 3-5 Jahren nur unwesentlich erhöht werden.
Replik: Unklar ist, auf welche Daten sich Siegel stützt. 2009 wird sogar 10% weniger Gold produziert als 2001 (siehe http://www.goldseiten.de/conte…artikel.php?storyid=12090), obwohl sich der Goldpreis seitdem – in US-$ gerechnet – vervierfacht hat.
Grund 7: Die rückläufigen Verkäufe der Zentalbanken stützen den Goldpreis.
Kommentar: Dieser Grund ist stichhaltig. Wir gehen davon aus, dass die Zent-ralbankbestände weitgehend erschöpft und somit weitere Verkäufe selbst theoretisch nicht mehr möglich sind. Das Volumen der Verleihung der Zentralbankbestände liegt insgesamt zwischen 5.000 und 10.000 Tonnen. Die Goldverleihungen sind seit 1999 ausgesetzt, was einer der wichtigsten Gründe für den Goldpreisanstieg der letzten Jahre ist, was von Schramm aber nicht erwähnt wird, ebenso wenig wie einen weiteren wichtigen Grund, der mit dem Rückgang der Verleihungen im Zusammenhang steht, dem Deheging, also der Eindeckung der Vorwärtsverkäufe der Goldproduzenten.
Replik: Notenbanken sind inzwischen sogar Nettokäufer. So wurde im dritten Quartal des Jahres 2009 – insbesondere bedingt durch Kaufe der Notenbanken Chinas, Indiens und Russ-lands, die aber lange noch nicht am Ende ihrer Käufe angelangt sein dürften – mehr Gold gekauft als verkauft (siehe http://www.goldseiten.de/conte…artikel.php?storyid=12090). Laut Siegel sind die Zentralbankbestände erschöpft und Verkäufe nicht einmal mehr theoretisch möglich. Im World Gold Council 2009 werden die physischen Goldbestände der Zentralbanken mit knapp 30.000 Tonnen beziffert. Demzufolge wäre nur ein Sechstel bis ein Drittel der Bestände beliehen. Niemand weiß genau, wo das physische Gold der Zentralbanken wirklich gelagert wird und inwieweit es tatsächlich existiert (überprüft wird dies nicht). Die Aussage Siegels zu den angeblich erschöpften Zentralbankbeständen erschließt sich einem dennoch nicht. Sie erscheint sehr spekulativ und ist daher wenig erhellend.
Abschließende Anmerkung meinerseits: Mag sein, dass einige der Argumente von Schramm vor zweieinhalb Jahren, als er seinen Artikel in der Welt schrieb, noch keine so herausragende Rolle gespielt haben mögen, wie das heute zum Teil der Fall ist. Insofern waren die damaligen Aussagen von Schramm teilweise eher visionär. Die Gesamteinschätzung von Siegel, Schramm habe sich nur oberflächlich mit dem Goldmarkt beschäftigt und seine Argumente nicht wirklich überprüft, ist zumindest aber unglücklich. Die Aussage zu einigen der Argumente von Schramm, diese seien schlicht falsch, mutet ist auf heutige Verhältnisse übertragen sogar als geradezu grotesk an.