Ausverkauf an den Aktienmärkten - Hedgefonds bedrohen Finanzstabilität
Wie von dem amerikanischen Oppositionspolitiker Lyndon LaRouche in seiner Erklärung vom 20. April prognostiziert, hat der größte Aktiencrash seit dem Untergang der "New Economy"-Blase eingesetzt. Er ist Teil eines umfassenden Zusammenbruchsprozesses, der neben Aktien vor allem auch die Rohstoff-, Währungs- und Derivatmärkte erfaßt hat. Allein die Aktienbewertungen haben dabei seit dem 9. Mai rund 3 000 Mrd. Dollar eingebüßt. Am schlimmsten hat es die sog. "aufstrebenden Märkte" erwischt, die nun eine panikartige Flucht der ausländischen Investoren erleben. Die dortigen Finanzblasen, die in der Phase extrem niedriger Zinsen in den USA, Japan und Europa aufgebaut wurden, platzen. Längst hat der Crash auch die führenden Aktienmärkte erreicht. Die Zentralbanken sind ratlos. Einerseits können sie die eingeleitete Rückführung der von ihnen ins System gepumpten Liquidität nicht stoppen, weil dann die Preisinflation für jedermann sichtbar außer Kontrolle gerät. Andererseits droht die Rückführung der exzessiven Liquidität, bzw. allein schon eine entsprechende Ankündigung, die Finanzmärkte in unvorhersehbare Turbulenzen zu stürzen.
Seit dem russischen Schuldenmoratorium im August 1998 und dem unmittelbar darauf folgenden Untergang des damals größten Hedge Fonds LTCM hat es nicht mehr einen derart massiven Einbruch an den "aufstrebenden Märkten" gegeben. Alle Marktsegmente, von Aktien über Anleihen bis hin zu Währungen, kollabieren seit dem 9. Mai in so unterschiedlichen Ländern wie Brasilien, Mexiko, Island, Ungarn, Türkei, Saudi-Arabien, Südafrika, Rußland, Indien, Indonesien und Neuseeland. Tagesverluste von fünf bis zehn Prozent und temporäre Abschaltungen des Börsenhandels waren im Verlaufe des Monats Mai an der Tagesordnung. Bis zum 7. Juni hatte der von der US-Investmentbank veröffentlichte Emerging Market Aktienindex bereits fast ein Fünftel seines Wertes vom 8. Mai verloren.
In der Türkei betragen die Aktienmarktverluste mehr als 30 Prozent. Die türkische Lira ist infolge der plötzlichen Kapitalflucht um 20% zusammengekracht. Hier wurde die Lage noch zusätzlich durch den Besuch eines Teams des Internationalen Währungsfonds (IWF) zugespitzt, der als Bedingung für die Fortführung des internationalen "Rettungspakets" eine drastische Reform des Sozialversicherungssystems gefordert hatte. Die von ausländischen Investoren verlangten Zinsen für türkische Regierungsanleihen schossen binnen weniger Tage on 13% auf 19% hoch. Über Pfingsten kündigte Zentralbankchef Yilmaz daraufhin ein außerordentliches Treffen des Zentralbankrates an und erklärte, man werde notfalls nicht davor zurückschrecken, zur Verteidigung der Lira die 60 Milliarden Dollar Devisenreserven des Landes einzusetzen. Am 7. Juni kam der Zentralbankrat zusammen und beschloß eine schockartige Anhebung der kurzfristigen Zinsen um 175 Basispunkte auf 15 Prozent. Nichtsdestotrotz fiel die Lira weiter und der Aktienmarkt erst recht.
Auch in Island versuchte die Zentralbank im Mai, mit drastischen Zinserhöhungen gegenzusteuern. Es half nichts. Das gesamte isländische Bankensystem, das mithilfe kurzfristiger, ausländischer Kredite eine riesige Spekulationsblase bei Aktien und Immobilien geschaffen hatte, steht vor dem Untergang. Am Pfingstmontag erklärte Ministerpräsident Asgrimsson nach einer lokalen Wahlschlappe seinen Rücktritt. Standard & Poor's stufte seine Bewertung für Island zurück, und die isländische Krone brach erneut ein.
Die Türkei und Island sind nur zwei Beispiele für ein weltweites Phänomen. Angelockt durch die im Vergleich zu den USA, Europa und Japan sehr viel höheren Zinsen ist in den letzten Jahren ein beträchtlicher Teil der Liquidität, die von der US-Zentralbank Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank sowie der Bank von Japan erzeugt wurde, in die Entwicklungs- oder Schwellenländer geflossen. Im letzten Jahr betrug dieser Kapitalfluß insgesamt 491 Mrd. Dollar, so viel wie nie zuvor. Damit wurden nicht nur Hochzinsanleihen gekauft, sondern ebenso Aktien und nicht zuletzt auch Unternehmen, etwa im Rohstoffsektor. Nach Zinserhöhungen in den USA und Europa, und einer bald erwarteten Abkehr von Nullzinsen in Japan, ist allerdings die Zinsdifferenz soweit gesunken, daß sie aus Sicht der Investoren nicht mehr das deutlich höhere Risiko deckt. Im neuen Bericht der Weltbank Global Development Finance wird ein Szenario einer "Destabiliserung der Finanzmärkte" beschrieben, bei dem es dann zu einer plötzlichen Kapitalflucht aus den Entwicklungsländern kommt. Dieses Szenario ist aber schon längst Wirklichkeit. Panikartig ziehen die ausländischen Investoren ab.
Nun hat ein weltweiter Zinswettlauf begonnen, um die verschreckten Investoren zurückzuholen und zugleich der ausufernden Inflation zu begegnen. Einen Tag nach dem türkischen Zinsschritt verkündeten ziemlich überraschend auch Indien, Südkorea und Südafrika eine Anhebung der Leitzinsen. Die Europäische Zentralbank (EZB) und Dänemark erhöhten ebenfalls die kurzfristigen Zinsen. EZB-Präsident Trichet betonte, die Zinsen seien immer noch sehr niedrig und weitere Erhöhungen vermutlich notwendig. Thailand war schon am 7. Juni in Aktion getreten. In den USA erschienen zugleich die regionalen Gouverneure der Federal Reserve in der Öffentlichkeit und ließen durchblicken, aufgrund inflationärer Gefahren seien weitere Zinserhöhungen unausweichlich. Das Ergebnis war ein neuerliches Blutbad auf den weltweiten Aktienmärkten. Unter anderem erlebten die asiatischen Aktienmärkte am 8. Juni den schwersten Einbruch in zwei Jahren. Der japanische Nikkei-Index brach in vier aufeinanderfolgenden Tagen um fast 900 Punkte ein, die Hälfte davon allein am 8. Juni. In beinahe verzweifelten Worten beschwor daraufhin der Kabinettschef der japanischen Regierung Shinzo Abe die Zentralbank, nicht gerade jetzt, inmitten der anhaltenden Turbulenzen, nun auch noch die japanische Nullzinspolitik zu beenden.
Im Gefolge des Aktienmarktcrashs sind auch die Rohstoffpreise abgestürzt. An einzelnen Tagen gab es dabei extreme Kursausschläge in beiden Richtungen, bei Kupfer bis hin zu 12 Prozent. Seit einem Vierteljahrhundert hat es derartiges an den Rohstoffbörsen nicht mehr gegeben. Insgesamt bilden Aktienkurse, Anleiherenditen, Währungskurse und Rohstoffpreise aber nur den Unterbau für ein darauf basierenden Spielkasino sehr viel größerer Dimensionen: Finanzderivate. Das Jahresumsatz allein der börsengehandelten Finanzderivate hat im letzten Jahr die Marke von einer Billiarde (im englischen "quadrillion") überschritten. Um an diesen Wettabenteuern ohne lästige Regulierungen seitens der Aufsichtsbehörden teilnehmen zu können, haben die großen Banken in den vergangenen Jahren Tausende von neuen Hedgefonds gegründet. Sie operieren zwar häufig mit der Infrastruktur und auch Krediten der Großbanken, sind aber offiziell auf den Cayman Islands oder anderen Offshorezentren registriert und bleiben daher unbehelligt.
Einige dieser Fonds dürften die jüngsten Turbulenzen nicht überlebt haben. Darüber wird man, sofern die geprellten Investoren mitziehen, Stillschweigen bewahren. Ein Indikator für die Lage im Hedgefonds-Sektor sind Warnungen von Zentralbanken, die es zwar früher auch gelegentlich gegeben hat, die aber nun eine neue Qualität erreicht haben. Sowohl die New Yorker Federal Reserve als auch die Banque de France haben sich zuletzt sehr besorgt über das rasante Wachstum von Finanzderivaten, insbesondere bei Kreditderivaten, geäußert.
Am 1. Juni legte die EZB ihren halbjährlichen Bericht über die "Finanzmarktstabilität" vor. Zum ersten Mal wurde dabei den Hedgefonds ein eigenes Kapitel eingeräumt. Neben dem schnellen Wachstum des von ihnen eingesetzten Kapitals, das durch die Hebelwirkung von Bankkrediten noch vervielfacht wird, wird hier auf die Gleichschaltung der Hedgefonds-Aktivitäten hingewiesen. In zunehmendem Maße verwendeten die Fonds exakt die gleichen Anlagestrategien und die gleichen Computermodelle. Seit der LTCM-Krise im Herbst 1998 habe es nicht wieder einen so starken Gleichlauf bei den Hedgefonds gegeben wie heute. Kommt es zu einer Krise, werden diese in der gleichen Art reagieren und dadurch einen Multiplikatoreffekt bei den Marktausschlägen auslösen. Schon im Mai 2005, nach der Abstufung von General Motors, seien dadurch viele Hedgefonds in Bedrängnis geraten. In dem speziellen Segment der "Convertible Arbitrage Strategy" hätten die Hedgefonds im Jahresverlauf 40 Prozent ihres gesamten Kapitals verloren.
Jetzt gebe es erste Anzeichen, daß sich die "Carry-Trades" in den Hochzinsländern auflösen. Sobald die globale Liquiditätsversorgung weiter eingeschränkt wird, könnten die führenden Märkte mit in den Strudel hineingerissen werden. "Eine zerstörerische Korrektur der Finanzwerte könnte auch durch andere Finanzschocks ausgelöst werden, etwa die Möglichkeit eines idiosynkratischen Zusammenbruchs eines großen Hedgefonds oder eines Clusters kleinerer Fonds." Dies würde wiederum zu "beträchtlichen Wertpapierverlusten bei Banken und Nicht-Banken" führen. An einigen Finanzmärkten könnte die Liquidität in einem Maße schrumpfen, daß die üblichen Methoden des Risikomanagements versagen.
All dies geschieht, während weitere Gewitterwolken am Horizont aufziehen, die möglicherweise in der zweiten Jahreshälfte die Finanzmärkte erschüttern könnten: Der Absturz des amerikanischen Immobilienmarktes, auf dem 8 Billionen Dollar an Hypothekenkrediten lasten, und der ebenso absehbare Absturz des US-Dollars aufgrund des beständig steigenden amerikanischen Handelsdefizits. Der letzte Punkt wird vom EZB-Bericht als eines der zentralen Finanzmarktrisiken eingestuft. Es bestehe die Gefahr einer "abrupten Umverteilung der Portfolioanlagen, entweder seitens des offiziellen (Zentralbanken) oder des privaten Sektors, oder auch ausgelöst durch einen plötzlichen Verlust der Neigung globaler Investoren, in ausreichendem Maße weitere US-Wertpapiere anzuhäufen und dabei ihr Risiko zu erhöhen." In diesem Fall käme es zu einer "plötzlichen und destabilisierenden Umkehr der globalen Kapitalflüsse", mit unmittelbaren Auswirkungen auf den US-Dollar und die US-Zinsen. Die Turbulenzen würden wahrscheinlich "auf fast alle anderen Wertpapierklassen übergreifen . einschließlich Unternehmensanleihen und Aktien . und sämtliche Finanzmärkte der meisten Volkswirtschaften treffen. Unter solchen Umständen, drohen den globalen Banken und ihren Gegenparteien . insbesondere mit Hebelwirkung operierenden Investoren wie Hedgefonds . besonders hohe Risiken durch fallende Finanzwerte."
In diesem Zusammenhang muß auch die Nominierung des Goldman-Sachs-Vorsitzenden Henry Paulson zum neuen US-Finanzminister gesehen werden. Gerade nach dem wenig rühmlichen und oft für Verwirrung sorgenden Auftreten des neuen Fed-Vorsitzenden Ben Bernanke, fordert das Finanzestablishment die Ernennung eines Spitzenmanns der Wall Street, dem man als Finanzminister das Management der schon bald erwarteten Zuspitzung der globalen Finanzturbulenzen zutraut. Es heißt, es käme dann, anders als noch vor ein paar Jahren, insbesondere auf Absprachen mit China an, das inzwischen weltweit über die höchsten Devisenreserven verfügt. Und Paulson habe dorthin erstklassige Beziehungen. Ob ein Paulson im Weißen Haus bei den anstehenden Stürmen allerdings wirklich einen Unterschied macht, darf bezweifelt werden. Sowohl Regierungen wie Zentralbanken haben ihr Pulver verschossen und die Dinge nicht mehr unter Kontrolle. Innerhalb des Systems ist eine Reparatur nicht mehr möglich.