Orakel von Delphi
Tempel des Apollon in DelphiDas Orakel von Delphi war eine berühmte griechische Pilger- und Weissagungsstätte des antiken Griechenlands in Phokis.
Es war die wichtigste Kultstätte der hellenistischen Welt. Sie galt lange Zeit sogar als Mittelpunkt der Welt (38° 28' 58" N, 22° 30' 22" E). Der genaue Ort wurde durch den Omphalos angezeigt.
Inhaltsverzeichnis [Verbergen]
1 Mythologie
2 Geschichte
3 Ablauf des Orakels
4 Berühmte Delphische Orakelsprüche
5 Philosophie
6 Weblinks
Mythologie
Dem Mythos zufolge ließ Zeus zwei Adler von je einem Ende der Welt fliegen, die sich in Delphi trafen. Seither habe dieser Ort als Mittelpunkt der Welt gegolten.
Die Erdmutter Gaia vereinigte sich mit dem Schlamm, der nach dem Ende des Goldenen Zeitalters von der Welt übrig blieb, und gebar die geflügelte Schlange Python (auch oft als „Drache“ bezeichnet). Python hatte hellseherische Fähigkeiten und lebte an dem Ort, der später Delphi heißen sollte.
Hera, die Frau des Zeus, war eine Enkelin Gaias. Gaia prophezeite ihrer eifersüchtigen Enkelin, dass Leto, ihre Nebenbuhlerin und eine der Geliebten Zeus', dereinst Zwillinge gebären würde, die größer und stärker als alle ihre Kinder seien. So schickte sie Python los, um Leto zu verschlingen, noch bevor diese ihre Kinder zur Welt bringen konnte. Diese Intrige wurde von Zeus verhindert, und Leto gebar Artemis und Apollon.
Eine der ersten Taten Apollons war die Rache an Python für den Anschlag auf seine Mutter. Er stellte Python bei Delphi und tötete sie. Durch das vergossene Blut Pythons übertrugen sich deren hellseherischen Fähigkeiten auf den Ort. So wurde Delphi der Kontrolle Gaias entrissen und befand sich fortan unter dem Schutze Apollons.
Geschichte
Delphi: Tholos im Heiligtum der Athena PronaiaDer Kult in Delphi, das bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. Pytho hieß, war dem Apollon geweiht, wobei ursprünglich allerdings die Erdgöttin Gaia verehrt worden war. Der genaue Zeitpunkt der Übernahme des Heiligtums durch Apollon ist nicht mehr feststellbar, doch bereits bei Homer wird von einem Apollonkult in Delphi gesprochen. Funde zeigen einen Aufstieg des Heiligtums ab dem 8. Jahrhundert v. Chr.
Auf die alte kultische Verehrung der Gaia ist es zurückzuführen, dass Apollon nicht durch einen Priester, sondern durch die Pythia sprach. Diese saß auf einem Dreifuß über einer Erdspalte. Dem Mythos nach stiegen aus dieser Erdspalte Dämpfe, die die Pythia in einen Trancezustand versetzten. Frühe geologischen Untersuchungen ließen es zunächst zweifelhaft erschienen, dass in Delphi echte Gase aus der Erde austraten. Es wurde daher angenommen, dass der Mythos aus einem spirituellen Hauch physikalische Gase gemacht hat. Neue Forschungen des amerikanischen Geologen Jelle de Boer von der Wesleyan University (Connecticut) 2004 konnten nach umfangreichen Laboranalysen belegen, dass in Delphi das Gas Ethylen die Trance der Priesterin bewirkte.
Das Ende des Delphischen Orakels kam durch den christlichen Kaiser Theodosius I., der um 390 n. Chr. die Orakelstätte aufhob.
Ablauf des Orakels
Das Orakel von Delphi sprach zunächst nur einmal im Jahr am Geburtstag des Apollon, dem siebenten Tag des Monats Bysios, später am siebten Tag jeden Monats im Sommer. Im Winter legte es für drei Monate eine Pause ein. Nach griechischer Vorstellung hielt sich der Gott in dieser Zeit bei den Hyperboreern auf, einem sagenumwobenen Volk im Norden. Das Orakel wurde währenddessen von Dionysos regiert. Bevor das Orakel sprach, bedurfte es eines Omens: Ein Oberpriester besprengte eine junge Ziege mit eisigem Wasser. Blieb sie ruhig, fiel das Orakel für diesen Tag aus, und die Ratsuchenden mußten einen Monat später wiederkommen. Zuckte sie zusammen, wurde sie als Opfertier geschlachtet und auf dem Altar verbrannt. Nun konnten die Weissagungen beginnen. Begleitet von zwei Priestern begab sich die Pythia zur heiligen Quelle Kastalia, wo sie nackt ein Bad nahm, um kultisch rein zu sein. Aus einer zweiten Quelle, der Kassiotis, trank sie dann einige Schlucke heiligen Wassers. Begleitet von zwei Oberpriestern und den Mitgliedern des Fünfmännerrates ging die Pythia anschließend in den Apollontempel. Sie wurde nun vor den Altar der Hestia geführt, wo aus einer Erdspalte die berauschenden Ethylen-Dämpfe aufstiegen. Allerdings wurden nur die begüterten Klienten individuell beraten und bekamen ausführliche, wenn auch oft rätselhafte Antworten. Die Ärmeren mussten mit einem Binärorakel (Ja-Nein-Orakel) vorlieb nehmen. Sie durften deshalb auch nur solche Fragen stellen, die sich mit Ja oder Nein beantworten ließen. Die Pythia griff dann in einen Behälter mit weißen und schwarzen Bohnen und nahm eine von ihnen heraus: Weiß bedeutete Ja, Schwarz Nein.
Berühmte Delphische Orakelsprüche
Das Schatzhaus der Athener in DelphiKrösus, der sprichwörtlich reiche letzte König von Lydien, wollte die Zuverlässigkeit von sieben Orakeln prüfen (neben Delphi z. B. Dodona). Boten sollten am hundertsten Tag nach ihrer Abreise jedes der Orakel befragen, was Krösus gerade tue. Wie Herodot berichtet, gab nur die Pythia die richtige Antwort, und das auch noch wie zumeist in einem wohlgesetzten Vers im Hexameter, hier in entsprechender Übersetzung:
Duft von Schildkröte ward mir bewußt, dem gepanzerten Tiere,/Die in ehernem Kessel gekocht wird, und Stücke von Lammfleisch,/Erz ist darunter gelegt, und Erz wird ruh'n auf dem Kessel.
Tatsächlich hatte Krösus, um etwas schwer Vorhersehbares zu tun, an diesem Tag ein Lamm und eine Schildkröte in einem abgedeckten metallenen Gefäß gekocht. Sofern die Geschichte nicht legendarisch ist, wird daher vermutet, dass das Delphische Orakel mit Spionen gearbeitet habe.
Übel hereingefallen ist Krösus dann allerdings mit dem Orakel, das er ersuchte, bevor er 546 v. Chr. gegen den Perserkönig Kyros II. aufbrach, und das auf griechisch lautete: Kroisos Halyn diabas megalen archen katalysei, oder in lateinischer Übersetzung: Croesus Halyn penetrans magnum pervertet opum vim, in deutscher Prosa: Wenn Krösus den Halys (heute: Kizilirmak) überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören. Krösus bezog diese Weissagung auf das Perserreich, es war aber leider sein eigenes.
Themistokles erhielt 480 v. Chr. vom Delphischen Orakel die Weisung, Athen mit hölzernen Mauern zu verteidigen. Diese deutete er richtig als Schiffe und konnte so die Perser in der Seeschlacht von Salamis besiegen.
Berühmt ist auch die Antwort, die der Athener Cherephones auf die Frage erhielt, ob es einen weiseren Menschen als Sokrates gebe. Das Delphische Orakel entschied, dass kein Mensch weiser als Sokrates sei. Dieser erklärte diese Antwort damit, dass er sich stets bewußt sei, dass er nichts wisse, und genau dies sei die Voraussetzung für die Erlangung von Weisheit. Viele nennen deshalb Sokrates neben den Sieben Weisen den achten Weisen von Delphi. Die Athener richteten ihn allerdings 399 v. Chr. trotzdem hin.
Mit dem Orakel von Delphi verbindet sich auch eine Geschichte, die der biblischen Geschichte vom „Scherflein der Witwe“ (Mk 12,41–44) inhaltlich verwandt ist: Ein reicher Kaufmann aus Magnesia wollte wissen, ob er die größten Opferspenden dargebracht habe, und erfuhr, dass der arme Bauer Klearchos aus Methydrion in Arkadien durch seine regelmäßigen bescheidenen Gaben weit größeres geleistet habe.
Pyrrhus konnte die Römer 280/279 v. Chr. zweimal unter großen Verlusten besiegen (daher der sprichwörtliche Pyrrhussieg). Vor dieser Unternehmung hatte er das Delphische Orakel um Rat gefragt und folgenden doppeldeutigen lateinischen Hexameter von der Pythia erhalten:
Aio te, Æacide, Romanos vincere posse./Ibis redibis nunquam per bella peribis.
Pyrrhus deutete dies (die nachfolgende deutsche Übersetzung in Prosa): Ich sage, Aeacide (Nachkomme des Achill), du kannst die Römer besiegen. Du wirst gehen und zurückkehren und niemals in Kriegen umkommen.
Grammatisch können die Sätze jedoch auch bedeuten (doppeldeutiger Subjekts- bzw. Objektsakkusativ im AcI, doppeldeutige Stellung von numquam):
Ich sage, dass die Römer dich, Aeacide, besiegen können. Du wirst gehen und niemals zurückkehren; in Kriegen wirst du umkommen.
Und so trat es ein. Pyrrhus mußte sich aus Italien zurückziehen und fiel 272 v. Chr. im Straßenkampf in Argos.
Das letzte bekannte Orakel erteilte die Pythia 362 n. Chr. dem Arzt Oribasisus, der es im Auftrag des heidnischen Kaisers Julian Apostata aufsuchte. Er wollte wissen, ob das Orakel in einer sich dem Christentum zuwendenden Welt noch Zukunft hätte. Pythia sprach ein letztes Mal:
Künde dem König, das schöngefügte Haus ist gefallen. Phoibos Apollon besitzt keine Zuflucht mehr, der heilige Lorbeer verwelkt, seine Quellen schweigen für immer, verstummt ist das Murmeln des Wassers.
Pythia hatte die Zeichen der Zeit tatsächlich besser gedeutet als Julian Apostata: Dieser fiel bald darauf im Kampf und konnte das Heidentum nicht mehr wiederherstellen.
Philosophie
Delphi (Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle; Ausschnitt, 1510)Die apollonischen Weisheiten – Erkenne dich selbst, Du bist, Nichts im Übermaß
Der Überlieferung zufolge sollen am Eingang des Tempels von Delphi die Inschriften „Erkenne dich selbst“ (gnôthi seautón, ³½ö¸¹ õ±ÅÄ̽) und „nichts im Übermaß“ (medèn ágan), angebracht gewesen sein. Insbesondere die erste, bekanntere Aufforderung deutet die eigentliche Absicht des Kultes, bzw. der verehrten Gottheit an, nämlich die Auflösung individueller Probleme und Fragestellungen durch die Auseinandersetzung mit der eigenen inneren Persönlichkeit. Die Erkenntnis der „Innenwelt“ diente damit als Zugang zur Problemlösung in der „Außenwelt“.
Die zweite Inschrift (medèn ágan, „Nichts im Übermaß“/„Alles in Maßen“) mahnt zur Bescheidenheit im eigenen Tun.
Die Existenz dieser Inschriften ist nicht durch archäologische Funde, sondern aus der schriftlichen Überlieferungen bekannt. So lässt z. B. Platon in „Phaidros“ und primär in „Symposion“ den griechischen Philosophen Sokrates über die Bedeutung dieser Inschriften referieren.
Weit weniger bekannt ist, dass nach einer Überlieferung Charmides sowie, etwa 500 Jahre später, auch Plutarchs, zu diesen beiden Weisheiten noch eine dritte, „Du bist“ (eî), gehört. Inwieweit diese das Portal zierte, ist ungewiss. Nach Plutarchs Erzählung war sie vermutlich eher eine gesprochene Antwort der Besucher des Tempels auf die Inschriften. Durch ihre Bedeutung kann sie jedoch legitim als „dritte apollonische Weisheit“ gelten.
Während später der selbstreflexorische Teil von „gnôthi seautón“ in den Vordergrund trat, war „gnôthi seautón“ im Ursprung möglicherweise als Begrüßungswort des Apollon an die Besucher gedacht. Hier schreibt Plutarch: "Beim Eintreten spricht der Gott sozusagen jeden von uns mit seinem „Erkenne dich selbst“ an, was zumindest so gut ist wie „Heil!“."
Als Antwort darauf erwiderte der Besucher dem Gott „Du bist“.
Plutarch: " Wir antworten dem Gott mit „eî“ (Du bist), indem wir ihm die Designation übertragen, die wahr ist und in sich keine Lüge birgt und zu ihm allein gehört und zu keinem anderen, nämlich die des Seins …"
Somit richtete sich „Du bist“ ursprünglich nicht an einen selbst, ist also im Ursprung kein Bestandteil einer Selbstreflexion. Dieser Ausspruch diente der Huldigung des Gottes Apollon, beziehungsweise der Göttlichkeit an sich. Erst später wurde er zur Erkenntnis und Anerkenntnis der eigenen Existenz umgedeutet. Unter diesem Blickwinkel verändert sich auch die Lesereihenfolge der drei apollonischen Weisheiten von „Erkenne dich selbst – Du bist – Nichts im Übermaß“ (Gruß, Widergruß, Ermahnung) zu „Du bist – Erkenne dich selbst – Nichts im Übermaß“ (Anerkenntnis der eigenen Existenz, Erkenntnis über die eigene Existenz, Bescheidenheit in der Existenz).
Quelle: Wikipedia