Von der Flaute in die Pleite: Rekord bei Firmeninsolvenzen
von Jürgen H. Wintermann
Düsseldorf - Die Insolvenzen in der deutschen Wirtschaft werden 2004 einen Höchststand erreichen. "Immer mehr Unternehmen geht jetzt das Geld aus, sie rutschen von der Flaute in die Pleite", kennzeichnete Helmut Rödl vom Vorstand der Vereine Creditreform die Lage. Vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf, wo er erste Details der jüngsten Herbstumfrage bei bundesweit 4000 Unternehmen bekanntgab, zog er das erschreckende Fazit: "In diesem Jahr ist mit 40 000 bis 42 000 Firmeninsolvenzen zu rechnen." Das wäre ein Pleitenrekord. Im Vorjahr waren bereits 39 500 Unternehmen gescheitert.
Bis Jahresende würden deshalb 650 000 Beschäftigte neu an die Arbeitsämter verwiesen, sagte Rödl, im vergangenen Jahr waren es 613 000. Den volkswirtschaftlichen Schaden aus der Wucht dieser Insolvenzwelle beziffert der Creditreform-Chef auf rund 50 (Vorjahr: 40,5) Mrd. Euro.
Spektakuläre Sanierungsfälle wie Opel oder Karstadt seien "nur die Spitze des Eisbergs" und verstellten den Blick für die wirkliche Dramatik, bekräftigt Rödl. Denn 99 Prozent aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen hierzulande seien Klein- und Mittelbetriebe, in denen mehr als zwei Drittel aller Erwerbstätigen arbeiten. "Aber der Mittelstand stirbt jetzt leise und trägt dabei die Hauptlast der Insolvenzen", warnte Rödl. Und da der Mittelstand bekanntlich "das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist, ist es kein Wunder, wenn Deutschland im Rollstuhl sitzt", folgerte er. Rödl: "Der deutsche Mittelstand kann deshalb nicht mehr als Konjunkturlokomotive dienen."
Als eine der Hauptursachen dieses Niedergangs ermittelte Creditreform neben den für Unternehmen hierzulande überwiegend feindlichen Rahmenbedingungen das dramatische Abschmelzen der Eigenkapitalbasis bei Klein- und Mittelbetrieben. Drei von zehn Unternehmen wiesen heute eine Eigenkapitalquote von unter zehn Prozent aus und seien damit eindeutig unterkapitalisiert, bedauerte Rödl. Bei Klein- und Mittelbetrieben bis zu 50 Mio. Euro Jahresumsatz liege die durchschnittliche Eigenkapitalquote sogar nur noch bei 7,5 Prozent. Sie erreicht damit nicht einmal ein Drittel jener Quote, die deutsche Großunternehmen bilanzieren (25 Prozent). Und selbst dies sei international, etwa im Vergleich zu US-Unternehmen mit 45 Prozent Eigenkapitalquote, äußerst mager.
Für eine grundlegende Wende müßten das paralysierende Konsenskorsett gesprengt, besseren Rahmenbedingungen zum Durchbruch verholfen und so der politische Stillstand überwunden werden, zitierte Rödl sinngemäß den Präsidenten des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs, Thomas Straubhaar. Und am Anfang von Reformprozessen müsse ein "Schumpeterscher" Politiker stehen. Das Zerstörende in der Politik sei bereits erkennbar. Ob daraus endlich auch Schöpferisches entstehe, müsse abgewartet werden.
Artikel erschienen am Do, 21. Oktober 2004