Interview mit US-Ökonom Laurence Kotlikoff über die Folgen der demografischen Alterung.
Wirtschaftswoche, Nr. 22, 20.5.2004, S.30:
Kotlikoff, 53, lehrt an der Boston University und gilt als einer der weltweit führenden Finanzwissenschaftler. Gemeinsam mit 2 Kollegen entwickelte er Anfang der 90er Jahre so genannte Generationenbilanzen, eine mittlerweile gängige Methode, um langfristige Verteilungswirkungen von Finanz- und Sozialpolitik zu messen.
Prof. Kotlikoff, in einem gerade veröfentlichten Buch warnen Sie die Amerikaner vor den Folgen der demografischen Alterung. Warum ?
Schauen Sie sich den Wert aller künftigen Ansprüche auf öffentliche Leistungen an. Ziehen Sie davon den Wert aller künftigen Steuer- und Beitragseinnahmen ab. Wenn man den Saldo vergleicht mit dem Nettovermögen der Amerikaner, dann sind die USA bankrott.
Andere Nationen sind noch schlimmer dran. Die Deutschen und Japaner werden nicht nur älter, sondern auch weniger.
Ja, und zugleich ist das Rentenniveau in Deutschland noch höher. Wie in Amerika auch, muss die Regierung in Berlin dringend radikale Reformen umsetzen.
Was wären die Folgen, wenn sie nichts tun ?
Die Abgabenlast müsste auf ein Niveau klettern, dass das heutige Schweden wie ein Steuerparadies erscheinen würde. Für Amerika etwa läßt sich zeigen: Um alle versprochenen staatlichen Leistungen zu finanzieren, müssten unsere Kinder mindestens doppelt so hohe Steuer- und Abgabensätze erleiden wie wir heute.
In Deutschland wie Amerika erscheinen derart drastische Steuererhöhungen ebenso unrealistisch wie drastische Rentenkürzungen.
Ja, und genau deshalb bewegen wir uns auf eine Situation zu, die Deutschlands Hyerinflation von 1923 ähneln wird. Die deutsche Regierung war damals nicht in der Lage, allen ihren Verpflichtungen nachzukommen, und die Politiker zu schwach, die Zahlungen offiziell einzustellen. Also taten sie es inoffiziell, indem sie Geld druckten und damit die Zahlungsverpflichtungen entwerteten (Anmerkung von mir: Und genauso dies machen die Amerikaner derzeit !)
Übertreiben Sie mit dem Vergleich nicht ein bisschen ?
Ich erwarte für die Zukunft durchaus zweistellige Inflationsraten.
Warum ist dann an den Rentenmärkten, wo sich die Inflationserwartungen in der Höhe der Zinsen für langfristige Anleihen widerspiegeln, von Panik nichts zu spüren ?
Wenn genügend Bondhändler mein Buch lesen, könnten die Zinsen auf 15 Prozent steigen - und zwar über Nacht. Das wäre auch völlig gerechtfertigt. Die Regierungen ständen dann unter Druck, die Notenpresse anzuwerfen, um so die reale Höhe der Zinsen zu senken. Das wiederrum würde zu Inflation führen - und damit die Erwartungen der Marktteilnehmer bestätigen.
Und warum bleiben die Bondhändler dennoch gelassen ?
Die lassen sich, wie alle anderen auch, zum Narren halten. Die Märkte orientieren sich an den Budgetdefiziten und Schuldenständen, wie sie von den Regierungen ausgewiesen werden. Wer das tut, kann auch gleich mit einer Straßenkarte von Los Angeles durch New York fahren.
Warum das ?
Weil diese Indikatoren kompletter Müll sind. Angenommen, eine Regierung will eine bestimmte Summe aufbringen, um sie von den heute Jungen zu den heute Alten umzuverteilen. Dann kann sie sich verschulden, indem sie Anleihen ausgibt und verspricht, das Geld samt Zins und Zinseszins zurückzuzahlen. Oder sie kann Steuern erheben und im Gegenzug zum Beispiel Rentenansprüche etablieren. Ökonomisch betrachtet, ist die Staatsverschuldung in beiden Fällen gleich hoch - nur dass sie im ersten Fall explizit ausgewiesen wird und im zweiten Fall nicht. Das bedeutet: Jede Regierung kann die Höhe des Defizits, das sie ausweisen will, beliebig manipulieren - entscheidend ist allein, welche Namen sie ihren Einnahmen und Ausgaben gibt.
Was also sollte getan werden ?
Hier geht es um ein Null-Summen-Spiel. Das muss auch jenen erklärt werden, die auf Deutschlands Straßen gegen Rentenkürzungen demonstrieren. Entweder die heute Erwachsenen übernehmen einen großen Teil der Last, oder wir betreiben fiskalischen Kindesmissbrauch und überlassen die ganze Rechnung den nachfolgenden Generationen.
Welche konkrete Reformen schlagen Sie vor ?
Man könnte zum Beispiel eine zusätzliche Mehrwertsteuer erheben. Die Einnahmen würden ausschließlich dazu verwendet, zumindest ein Gros der bereits bestehenden Leistungsansprüche aus dem alten Rentenumlageverfahren zu befriedigen. Der Steuersatz würde Zug um Zug sinken können - von anfänglich, sagen wir 10 Prozent bis zu null in einigen Jahrzehnten. Parallel dazu würden Rentenbeiträge künftig nur noch in individuelle, kapitalgedeckte Rentensparkonten eingezahlt.
Warum hätte diese Idee Charme ?
Die Mehrwertsteuer würde auch heutige Senioren treffen, sie würden also daran beteiligt, die Erblasten aus dem Umlageverfahren abzubauen. Die Älteren müssen aushelfen. Das Problem ist einfach zu groß, als dass die jüngeren und künftigen Generationen damit alleine fertig werden könnten.
Olaf Gersemann/Washington