Nein, Brute force bedeutet nur mit maximaler Rechenleistung alle Möglichkeiten, einschließlich der offensichtlich unsinnigen, durchzurechnen. Wie weit das geht, hängt von der verfügbaren Leistung ab, aber "bis zum Ende" ist keine Bedingung.
Exakt, mit Ende habe ich auch nie das Partieende, sondern das Bedenkzeitende gemeint, was man unschwer aus meinem zweiten Halbsatz und dem Folgesatz ableiten kann und was von Dir durch ein unvollständiges Zitat aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Die praktische Anwendung des "Brute-Force"-Verfahrens habe ich auch an anderer Stelle beschrieben und nie in Frage gestellt.
Wenn hier unvollständige Zitate seziert werden, geht es inzwischen offenbar nur noch um Wortklauberei.
"Brute-Force" beschreibt das Verfahren, alle möglichen Stellungen bis zum Ende in allen Verzweigungen komplett durchzurechnen, was für eine komplette Schachpartie ab Eröffnungszug wegen der gegenüber der Zugzahl exponentiell ansteigenden Anzahl von Stellungen praktisch nicht möglich ist (siehe Reiskornlegende).
Deshalb haben die früheren Engines halt so weit gerechnet, wie sie mit der vorgegebenen Zeit kamen, und dann die Stellung nach vom Menschen vorgegebenen Parametern bewertet.
Dabei sind nun Züge enthalten, die bisher immer ausgeschlossen wurden (als ungeeignet). Und mit diesen neuen Zügen ist der Algorithmus (es ist immer noch einer) in der Lage, Programme, die diese Züge nicht in petto haben, zu überrumpeln.
Wenn Du meinst, dass der Vorteil von "AlphaZero" gegenüber anderen Programmen darin liegt, dass es aufgrund seiner Rechenpower in bekannten Stellungen Züge vorausberechnet und besser beurteilt hat als andere Programme, und diese deshalb damit "überrumpeln" kann, liegst Du völlig falsch!
Der Vorteil liegt vielmehr darin, dass "AlphaZero" durch das selbst errechnete Bewertungssystem im neuronalen Netz in der Lage ist, Entscheidungen in ihm bis dato völlig unbekannten Stellungen anhand von durch ihn generalisierten Stellungscharakteristiken zu treffen, die man am ehesten mit der menschlichen Intuition vergleichen kann, und genau das ist aus schachlicher Sicht (die ich Dir leider absprechen muss) so bahnbrechend.
Selbstverständlich beruht all dies im Ursprung auf einem Programmcode, aber dieser hat im neuronalen Netz die Möglichkeit einer Verarbeitung geschaffen, der eine Entscheidungsfindung ermöglicht, ohne dass der sich daraus ergebende konkrete Vorteil innerhalb des Berechnungshorizonts lag und zu verifizieren war!
Spitzenspieler opfern im Schach nicht selten Material, ohne dass sie alle taktischen Verwicklungen bis zu einer forciert zu erreichenden vorteilhaften Stellung durchrechnen können, rein intuitiv.
Herkömmliche Engines haben nur Material geopfert, wenn sie im "Brute-Force" so weit rechnen konnten, dass sie einen nach ihren vorgegebenen Bewertungsparametern konkreten Vorteil errechnen konnten.
"AlphaZero" hingegen hat in einigen Partien und in ihm unbekannten Stellungen Material aufgrund rein strategischer Stellungscharakteristiken geopfert, deren Vorteil sich erst in einer Anzahl von Zügen herausstellte, die weit außerhalb seines Berechnungshorizonts lagen. Insbesondere diese Art der Intuition zeichnet menschliche Weltklassespieler aus. Diese Züge von "AlphaZero" waren allerdings im Einzelfall dermaßen "weitsichtig" (also weit außerhalb des maschinellen und menschlichen Berechnungshorizonts), dass sie bis dato auch von den weltbesten Menschen so niemals gefunden und gespielt worden wären.
Und nochmal, weil es zum Verständnis so wichtig ist: "AlphaZero" hat in ihm unbekannten Stellungen Züge gespielt, deren Vorteil sich erst nach einer Anzahl von Zügen manifestierte, die weit außerhalb seines Berechnungshorizonts lagen. Das bedeutet, dass er/es selbst zuvor Bewertungskriterien errechnet und generalisiert (das heißt auf ihm unbekannte Stellungen anwendbar gemacht) hat, die auch deutlich über dem aktuellen Schachverständnis des Menschen liegen.
Trotzdem ist und bleibt es eine gefühllose Rechenmaschine, die aber in der Lage ist, die menschliche Intuition auf einem dem Menschen bis dato nicht zugänglichen Niveau "nachzubilden".
Edit:
Vielleicht hilft dieses Video (und die folgenden der Serie) eines als Kommentator sehr bekannten Großmeisters ja zum Verständnis, ansonsten kann ich leider auch nicht weiter helfen:
https://www.youtube.com/watch?v=pFtY7gNRVRI
Edit 2:
Danke für die angeregte Diskussion, die wohl zunehmend offtopic ist und deshalb, wenn überhaupt, an anderer Stelle fortgesetzt werden sollte...