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Eine Sturmwarnung wäre angebracht
Von Hans-Jürgen Maurus, SWR, ARD-Hauptstadtstudio Berlin
Es ist schon merkwürdig. Wir haben die schwerste Banken- und Finanzkrise seit 20 Jahren, den heftigsten Crash an den Börsen seit dem 11. September 2001 - allein gestern wurden in Frankfurt 50 Milliarden Euro an Kapital vernichtet - und die Bundesregierung verabreicht Beruhigungspillen.
Man tue alles für Stabilität und es gebe keinen Grund eine Rezession in Europa oder Deutschland anzunehmen, meint Kanzlerin Angela Merkel. Beruhigungspille Nummer zwei kommt von Wirtschaftsminister Michael Glos. Er warnt vor panischen Reaktionen. Sparguthaben seien sicher, die Anleger an der Börse müssten im Übrigen wissen, dass diese keine Einbahnstraße sei.
Überall kracht es
Ach nein, diese Erkenntnis geistert schon etwas länger durch die Lande. Doch bleiben wir beim Thema: Überall kracht es, auch in Deutschland. Die SachsenLB stand vor der Pleite, die IKB brauchte fünf Milliarden Euro und ist dennoch ein Scherbenhaufen und die WestLB ist ein Milliardengrab ohne Ende. Auch andere Landesbanken, von der Landesbank Baden-Württemberg bis zur BayernLB, müssen zusätzliche Hunderte von Millionen abschreiben. Die Großbanken müssen im vierten Quartal ebenfalls weitere Abschreibungen vornehmen.
Ist Merkel blind?
In den USA legt die Regierung nicht nur ein 150-Milliarden-Dollar-Finanzpaket auf, um drohende Rezessionsängste zu dämpfen, sondern die US Notenbank senkt auch die Leitzinsen um 75 Basispunkte. Doch in Berlin träumt man von der schönen heilen Welt: Keine Anzeichen einer Rezession kann die Kanzlerin erkennen - ja ist sie blind?
Sicher nicht. Klammheimlich hat die Regierung ihre Konjunkturprognose auf 1,7 Prozent in diesem Jahr nach unten revidiert. Doch solche Zahlen sind beim gegenwärtigen Umfeld schnell Makulatur. Finanzkrisen sind hässliche Geschöpfe. Sie können zu Wirtschaftskrisen führen, zu Rezession und damit mehr Arbeitslosigkeit. Sie können ganze Haushalte durcheinanderwirbeln und sämtliche Ausgabenpläne einer Bundesregierung.
Die Kreditkrise wird Investitionen hemmen
Die aktuelle Kreditkrise wird Investitionen hemmen und die Gewinne aller Banken massiv beeinträchtigen. Das Finanzdesaster wird zu Massenentlassungen in der Branche führen und auch andere Sektoren beeinflussen. Merkel muss aufpassen, dass sie 2009 nicht einen Bundestagswahlkampf in Rezessionsumfeld führen muss. Kein Politiker kann es sich leisten, nichts zu tun und die Fakten zu ignorieren.
Niemand nimmt es einer Bundesregierung übel, wenn sie vorsichtig agiert, um keine Panik auszulösen. Doch das entschuldigt nicht Erklärungen, die eine verharmlosende Unwissenheit reflektieren.
Den Kopf in den Sand stecken reicht nicht
Die Inkompetenz auf vielen Ebenen - siehe Landesbanken - die fehlende politische Kontrolle und das Versagen bei Strukturreformen sind ein gefährliches Gemisch. Den Kopf in den Sand zu stecken, während der Hurrikan heranrast, ist einfach ungenügend. Wenigstens eine Sturmwarnung hat der Bürger verdient.
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