Lucas Zeise - Weltwirtschaftskrise, die nächste
von Lucas Zeise
Der Absturz der Weltwirtschaft nähert sich der dritten Phase. Nur die deutsche Regierung hält daran fest, dass alles gut wird, und setzt weiter auf ihre gescheiterte Export-Strategie.
Sie ist einfach cool, unsere Kanzlerin. In der Stunde höchster Gefahr tut sie so, als wäre gar nichts los. Mehr noch, sie kündigt an, den Kollegen beim G8-Gipfel im vom Erdbeben zerstörten Abruzzenstädtchen L'Aquila ein bisschen Haltung und Durchhaltewillen zu empfehlen. Schluss mit den Maßnahmen gegen die Finanzkrise, will sie Obama, Sarkozy, Brown et cetera zurufen. Die Krise geht schließlich von selbst vorbei. Jetzt sollten sich die Regierungschefs um die Zeit nach der Krise kümmern. Und keine weiteren Konjunkturprogramme bitte. Stattdessen sollten sich die anderen sieben ein Beispiel an Deutschland nehmen, das sich die "Schuldenbremse" für die Zeit danach verordnet hat.
Ich räume ein, dass ich auch ein wenig verschnupft bin über diese Coolness der Kanzlerin. Denn sie hat mich als naiven Träumer entlarvt. Vor vier Wochen hatte ich an dieser Stelle die Hoffnung, ja Erwartung geäußert, die von ihr geführte Regierung werde vor und wegen der kommenden Wahl (und damit vor den Sommerferien) noch einige expansive Antikrisenmaßnahmen auf den Weg bringen.
Nichts davon. Die Kanzlerin bleibt ungerührt. Die einbrechende deutsche Wirtschaft lässt sie kalt. Und sie geht so weit, das erkennbar scheiternde deutsche Geschäftsmodell dem Ausland zu empfehlen. Ihre Ausfälle gegen die Wirtschaftspolitik der USA (und Großbritanniens) und gegen die expansive Geldpolitik der großen Notenbanken waren kein Ablenkungsmanöver, sondern ernst gemeint.
Merkels Hoffnung trügt
Die EZB hat auf Merkels Kritik mit einer massiven Zufuhr von einjähriger Liquidität in Höhe von 442 Mrd. Euro an das europäische Bankensystem geantwortet. Sie hat damit auch klargestellt, dass die Finanzkrise zwei Jahre nach ihrem Ausbruch noch lange nicht bewältigt ist. Es dürfte wohl eher so sein, dass wir uns Phase III der Weltwirtschaftskrise nähern. In Phase I (ab August 2007) verschwand die auf dem Globus grassierende Überliquidität, der Kreditboom stockte, das Finanzsystem begann zu wackeln.
In Phase II erreichte die Finanzkrise die Realwirtschaft auch außerhalb der USA. Wegen der riesigen Nachfragelücke aus den USA, deren Konsumenten sich nicht mehr verschulden konnten (und wollten), brachen die Investitionen weltweit ein. Zugleich retteten die Staaten nach dem Fall von Lehman Brothers ihre Banken. Sie legten auch Konjunkturprogramme auf. Deren Volumen blieb aber (nicht nur in Deutschland) weit hinter den Kosten der Bankenrettung zurück. Vor allem deshalb dürfte die Hoffnung auf eine Erholung trügen.
Phase III beginnt dann, wenn die scheinbare Stabilisierung der letzten Monate sich als Illusion erweist und die realen Daten erneut nach unten wegsacken. Das ist der berühmte "Double Dip" der Chart-Techniker, der grafisch zum Ausdruck bringt, dass auch der Letzte begriffen hat, dass es nicht wieder schnell aufwärtsgeht. Entscheidender sind noch die gesellschaftlichen Folgen: Der rapide Anstieg der Arbeitslosigkeit wird dank der Agenda-2010-Reformen schnell zu weitverbreiteter Armut führen. Zugleich sorgt die wegbrechende Einkommensbasis für ein rasches Anwachsen der Defizite von Staatshaushalten und Sozialsystemen.
Es mag sein, dass Frau Merkel und ihre Regierung nur prognostisch falsch beraten sind. Es gibt ja durchaus Stimmen, die nicht nur die Talsohle jetzt schon erreicht sehen, sondern auch an einen dann folgenden kräftigen Aufschwung glauben. Diese Ökonomen vermuten, dass die USA, die als Erste die Krise real zu spüren bekamen, aus dieser Krise auch zuerst und zwar bald wieder auftauchen. Die muntere Gangart der Aktien- und Rohstoffmärkte der letzten Monate schien solche Hoffnungen zu bestätigen.
Was davon zu halten ist, haben Beobachter treffend analysiert: Angesichts steigender Arbeitslosigkeit, stagnierender Reallöhne und endlich steigender Ersparnis werden die US-Bürger die reale Nachfrage nicht erhöhen, zumal die einkommensstützende Wirkung der erhöhten Staatsausgaben bald nachlässt. Das Geschäftsmodell der USA, den Konsum durch steigende Verschuldung der Bürger anzutreiben, so lautet die richtige Folgerung, ist gescheitert.
Wenn Merkel und die in der Regierung versammelten Sozial- und Christdemokraten den Hang zur Verschuldung bei angelsächsischen Privat- und Staatshaushalten tadeln, können sie in der Tat auf das spektakuläre Scheitern dieses Geschäftsmodells verweisen. Es trieb die Weltwirtschaft nett an, während es funktionierte. Seit Sommer 2007 aber ist Schluss mit lustig. Das Modell ist am Ende.
Exportnation ohne Weltmarkt
Mit ihm aber auch das deutsche. Denn nur wenn das lasterhafte Schuldenmodell der USA funktioniert, funktioniert auch das tugendhafte Gürtel-enger-schnallen-Modell in Deutschland. Eigentlich müssten Merkel und Steinbrück das mitbekommen haben. Schließlich brach der Weltmarkt ein, als die USA aufhörten, ihre Konsumgüternachfrage zu steigern, und stattdessen ihr Handelsbilanzdefizit, wenn auch nur mäßig, einschränkten. Die Exporteure der Bundesrepublik liefern direkt nicht viel in die USA. Aber sie liefern (besser: lieferten) an jene, die vom US-Markt abhängig sind.
Die Bundesregierungen, die aktuelle und ihre Vorgängerinnen, haben (mit Ausnahme der kurzen Periode, als es um den neuen Markt der alten DDR ging) immer alles getan, um den Export Deutschlands zu forcieren. Das hat in Maßen funktioniert. Aber der Inlandsmarkt und damit das volkswirtschaftliche Wachstum insgesamt blieb hinter dem Wachstum der Produktionskapazitäten zurück. Die Strategie, in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde sie "Angebotstheorie" getauft, ist gezielt unausgewogen: Alles, was die Kosten der Unternehmen (Löhne, Steuern und Abgaben) senkt, ist gut, was die Nachfrage stärkt, ist schlecht.
Wenn der Weltmarkt wie jetzt darniederliegt, ist eine solche reine Exportstrategie fatal. Merkels Ziel, die deutschen Unternehmen sollten stärker aus der Krise herauskommen (als die Konkurrenz), wird noch viele Pleiten und viel soziales Elend bringen.
http://www.ftd.de/meinung/leit…die-n%E4chste/536705.html