DIE ZEIT
Hat die Goldhausse ihren Höhepunkt erreicht?
Securius
Die langjährigen Goldspekulanten sehen sich in diesen Tagen bestätigt. Der Goldpreis erreichte Höhen, die bislang niemand für möglich gehalten hatte. Gold war die beste Vermögensanlage der letzten Jahre. Es übertrifft sogar die Gewinne, die bisher in der Immobilienspekulation realisiert wurden.
Vom heutigen Preis aus betrachtet wird der Kilo-Barren Gold im Zehn-Jahresvergleich von keiner anderen Vermögensanlage geschlagen. Wer Ende 1963 einen Kilo-Barren zum Preis von 4850 Mark erwarb, kann ihn jetzt zum Preis von etwa 15 000 Mark verkaufen. Sicherlich, Gold bringt keine Zinsen und seine Aufbewahrung kostet Geld. Aber was macht das, wenn sich der Goldpreis innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdreifacht hat.
Auf die Goldhausse haben die Barrenbesitzer lange warten müssen. 1972 gab es schon einmal einen plötzlichen Preisanstieg. Damals kletterte der Kilo-Barren (einschl. Mehrwertsteuer) auf 8103 Mark, zum Jahresende war er aber schon wieder auf 7548 Mark zurückgefallen. Wird es auch jetzt wieder einen Rückschlag geben? Ist es noch sinnvoll, auf den in voller Fahrt befindlichen Gold-Zug aufzuspringen?
Die Goldpreisschwankungen der letzten Tage signalisieren Gefahr. Weniger von der Nachfrage als von der Angebots-Seite her. Denn noch immer stehen an den Schaltern der Banken Leute Schlange, um Gold und Goldmünzen zu kaufen. Einige Kreditinstitute melden Lieferfristen. Und auch international gibt es ein anhaltendes Interesse für Gold. Vermutlich wechseln die Ölförderländer einen Teil ihrer aus dem Rohölverkauf stammenden Dollar sofort in Gold um. Diese Anlage erscheint ihnen sicherer als Guthaben in Dollar oder anderen Währungen.
Diese Nachfrage sowie die Goldhortungskäufe, die nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten sind, treffen auf einen bisher gerade ausbalancierten Markt. Die Goldproduktion war in den letzten Jahren tendenziell leicht rückläufig. Die Gewinnungskosten wurden durch den lange Zeit künstlich niedrig gehaltenen Goldpreis nicht gedeckt. Und jetzt haben die goldfördernden Länder kein Interesse daran, die Hausse in Gold frühzeitig zum Erliegen zu bringen. Die führenden Goldförderländer - soweit sie über Vorräte verfügen - verhalten sich ähnlich wie die Ölländer. Sie streben einen Goldpreis an, der sich auch über längere Zeit auf dem gegenwärtig hohen Niveau halten läßt.
Gefahr kann dem Goldpreis allerdings durch die nationalen Notenbanken drohen. Sie verfügen, wie kürzlich Johannes Tüngeler, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank und dort für den Goldhandel verantwortlich, in einem der Hannoverschen Allgemeinen gegebenen Interview vorrechnete, über einen Goldbestand - berechnet zum gegenwärtigen freien Goldpreis - im Wert von etwa 190 Milliarden Dollar. Die Notenbanken wären bei einem koordinierter. Verhalten durchaus in der Lage, auf die Preisgestaltung am Goldmarkt durch massive Verkäufe Einfluß zu nehmen.
Aber wie wollen sie das? Bisher spricht nichts dafür. Für die Bundesbank hat Staatssekretär Karl-Otto Pöhl vom Bundesfinanzministerium lakonisch erklärt: "Die Bundesbank denkt nicht daran, Gold zu verkaufen. Dazu besteht keine Notwendigkeit." Und tatsächlich hat die Bundesrepublik keinen Anlaß, ihren Goldbestand zu verringern; denn noch sind wir in der Lage, meine verehrten Leser, unsere Auslandsverpflichtungen aus den Devisenbeständen abzudecken. Der Verkauf von Gold wäre nur dann sinnvoll, wenn man zu der Meinung käme, der Goldpreis sei zu hoch. Dann würde es sich lohnen, mit Gold einmal Kasse zu machen. Aber derartige spekulative Erwägungen liegen der Bundesbank offenbar fern.
Übrigens: Die Notenbanken Frankreichs und Italiens verfügen im Verhältnis zu ihren Währungsreserven über weitaus mehr Gold als die Bundesbank. Nichts läge also näher, daß diese beiden Länder mit Goldverkäufen den Anfang machten, zumal sie auf dem internationalen Kapitalmarkt einen festen Kreditbedarf zum Ausgleich ihrer Zahlungsbilanzen angemeldet haben. Die Tatsache, daß diese Länder es vorziehen, sich zu verschulden statt ihre Goldbestände zu verringern, deutet doch wohl darauf hin, daß man sowohl in Paris als auch in Rom mit einer Fortsetzung der weltweiten Inflationsbewegung rechnet, in der es eben nützlich ist, Schulden und Gold zu besitzen.
Woher kam bei uns der Run auf das Gold? Einmal sicherlich durch die steigenden Goldpreise selbst. Wie überall, so wird auch hier die Hausse durch die Hausse genährt. Es gibt für Vermögensanlagen keine bessere Werbung als steigende Preise. Aber dies ist natürlich nur eine vordergründige Erklärung. Hinter der Goldhausse in der Bundesrepublik steht in erster Linie die Inflationsfurcht. Auslösendes Moment war die Kapitulation der Bundesregierung vor der Gewerkschaft ÖTV. Wer wochenlang vor zweistelligen Tarifabschlüssen warnt, weil sie zweistellige Inflationsraten im Gefolge haben würden, und dann zweistellige Lohnerhöhungen bewilligt, darf sich über die Reaktion der Bevölkerung nicht be- klagen.
Was soll der deutsche Sparer schließlich noch mit seinem Geld anfangen. Kein Sparkonto bietet Zinsen, die einen Kaufkraftschwundausgleich gewährleisten. Und am Rentenmarkt? Die Renditen sind hier zwar wieder zweistellig geworden. Aber werden sie ausreichen, um die Inflationsrate plus mögliche Kursverluste zu ersetzen? Aktien sind längst keine Alternative mehr. Das läßt sich an den Kursbewegungen der vergangenen 14 Monate mühelos ablesen. Und die Aktienzukunft wird durch die Pläne der Bundesregierung verdüstert, die alle Aktionäre, auch Volksaktionäre und Investment-Sparer, zugunsten einer begrenzten Arbeitnehmerschicht teilenteignen will. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Absicht wird zwar allerseits in Zweifel gezogen. So lange jedoch dieser Plan nicht vom Tisch ist, enthalten deutsche Aktien ein Risiko, das die meisten Anleger ab- schreckt.
Im Immobilienbesitz sind ebenfalls hohe Risiken enthalten. Das bekommen jene zu spüren, die jetzt den Versuch machen, Anteile an geschlossenen Fonds zu verkaufen. Wer glaubt, diese Anteile zu dem Preis abstoßen zu können, der ihm von der Fonds-Leitung als "echter Wert" mitgeteilt wird, irrt. Nach meinen Informationen liegen die Verkaufswerte um fast 30 Prozent niedriger als die Schätzwerte.
Wohin soll der Sparer ausweichen? Schließlich sind ausländische Aktien im Augenblick ebenfalls alles andere als reizvoll. Ich meine, daß Gold - wie schon immer - im Rahmen einer sinnvoll gestreuten Kapitalanlage unbedingt seinen Platz haben sollte. Das gilt für Goldbarren, wenn es sich um größere Ersparnisse handelt.
Dabei ist die steuerliche Seite nicht zu übersehen. Goldbarren unterliegen natürlich der Vermögensteuer - falls eine Vermögensteuerpflicht besteht. Da aber Gold keine Zinsen bringt, brauchen sie - im Gegensatz zu den Einkünften aus Wertpapieren - auch nicht versteuert zu werden. Die Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis ist, wenn die Barren zu einem Privatvermögen gehören, steuerfrei. Kein Wunder, wenn immer mehr Leute mit hoher Steuerprogression im Gold ihr Glück suchen.
Die in der Bundesrepublik um Stabilität bemühten Politiker sollten dem Run auf das Gold mit Wohlwollen zusehen. Der Goldkauf bindet Kaufkraft; Gold trägt wegen seiner Zinslosigkeit so lange es nicht wieder veräußert wird, auch nicht unmittelbar zur Einkommensvermehrung bei.
Genau wie bei früheren Gelegenheiten, meine verehrten Leser, wenn an dieser Stelle das Thema aufs Gold kam, so bin ich immer noch der Meinung, daß zu jeder Ersparnisanlage auch Goldmünzen gehören. Sie stellen eine Art Lebensversicherung dar. Es ist doch erst etwas länger als 25 Jahre her, da sich manche deutsche Familie, die ihre Goldmünzen über die Goldablieferungspflicht Hitlers unter Gefahren hinweggerettet hatten, mit ihrer Hilfe über die schweren Nachkriegsjahre hinwegbringen konnte. Damals galt Geld nichts, aber Gold viel. Wer den Kauf von Goldmünzen unter diesem Aspekt sieht, braucht auch heute noch nicht so sehr auf den Preis zu sehen.
Anders natürlich die Goldspekulanten. Für sie, die kurzfristig am Gold verdienen wollen, ist die Zeit schon recht heiß geworden.
(c) DIE ZEIT 1974
11/1974