Große Liebe zu großen Scheinen;
Immer mehr Bargeld ist im Umlauf
Als die ersten Computer kamen, schwärmten Zukunftsforscher vom " papierlosen Büro" , in dem alles nur noch elektronisch abgewickelt wird. Das genaue Gegenteil ist eingetreten: Dank Drucker, Fax und Kopierer wird heute mehr Papier umgewälzt denn je. Beim Geldpapier ist es ähnlich. Technisch wäre es heute dank Kreditkarte, Geldkarte und Girokonto möglich, fast bargeldlos durch das Leben zu kommen.
Tatsächlich jedoch wächst die Nachfrage nach Barem dramatisch. 2004 - aktuellere Zahlen gibt es nicht - stieg der Umlauf an Banknoten in der Eurozone um 14,9 Prozent auf 501,3 Milliarden Euro an. Der Umlauf an Münzen wuchs um 9,1 Prozent auf 15,4 Milliarden Euro.
Die Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland werden seit der Währungsumstellung nicht mehr extra ausgewiesen, sie dürften aber kaum niedriger liegen.
Der Bargeld-Boom ist kein einmaliges Ereignis. Bundesbank und Europäische Zentralbank beobachten den Trend seit Anfang der neunziger Jahre; unterbrochen wurde er nur in den Jahren 2000 und 2001, kurz vor der Einführung des Euro.
Statistisch schlägt sich dies in einer sinkenden Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nieder. Stark vereinfacht ausgedrückt: Ein einzelner Euro wird seltener genutzt als früher, weil viel mehr Euros gehortet werden. Klar ist, dass die Entwicklung nichts mit den Zahlungsgewohnheiten der normalen Verbraucher zu tun hat. Weit mehr als die Hälfte des Bargelds sind große Scheine von 100 Euro und mehr; allein die 500-Euro-Noten, die kaum einmal im Alltag benutzt werden, machen 30,6 Prozent aus. Drei wesentliche Ursachen haben die Statistiker für diesen Trend ausgemacht:
Erstens wird der Euro immer mehr auch außerhalb der EU, besonders in Osteuropa genutzt; im Kosovo ist er sogar offizielles Zahlungsmittel.
Zweitens ist es in Südeuropa dank niedriger Zinsen und Teuerungsraten billiger geworden, Bargeld zu halten.
Und drittens sind die großen Scheine ein Hinweis auf die blühende Schattenwirtschaft in Europa: Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und illegale Immobiliengeschäfte.Nikolaus Piper
Süddeutsche Zeitung, 22. Februar 2006, S. 2 ;