4. Juli 2007 Deutsche Privatanleger sind etwas seltsame Wesen. Statt ihr Geld in profitable Wertpapiere in Form von Aktien ins Depot zu legen, parken sie es lieber auf dem Sparbuch und auf Geldmarktkonten oder kaufen sich intransparente und oft auch teure Kapitallebensversicherungen.
Andererseits kaufen sie jedoch immer öfter derivative und strukturierte Produkte. Immerhin hat die Anzahl ausstehender Produkte nach einer Analyse der Deutschen Bank in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Allein im Jahr 2006 wurde in Deutschland ein Volumen von rund 500 Milliarden Euro im Handel mit Zertifikaten umgesetzt.
Viele Zertifikate sind zu komplex ....
Die Zertifikate werden jedoch keineswegs nur von Privatanlegern gekauft, sondern tauchen zunehmend auch in den Modellportfolios von Banken und Vermögensverwaltern auf. Wie das Münchener Institute für Vermögensaufbau im Rahmen von Portfoliozertifizierungen feststellte, beträgt der Anteil der Zertifikate in Modellportfolios von Vermögensverwaltungen teilweise bis zu 18 Prozent.
Es fragt sich nur, ob diese weniger riskant sind als konventionelle Produkte. Eine Analyse der tatsächlichen Risiken und Renditechancen von solchen Produkten im Detail ist allerdings mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Immerhin handelt es sich bei vielen Zertifikaten um eine Konstruktion aus mehreren Finanzinstrumenten, die teilweise recht komplex sein kann. So kommen beispielsweise immer mehr strukturierte oder derivative Finanzprodukte auf den Markt, die mit so genannten Knock-out- oder Knock-in-Schwellen versehen sind.
Das heißt, erreicht der Kurs beziehungsweise der Preis des Basisinstruments - sei es eine Aktie, eine Währung, ein Index, ein Zinssatz oder ein Rohstoffpreis - diese Schwelle, so ändert sich das Risiko-Ertragsprofil des Zertifikates. Ganz extrem wird es im Falle von Hebelprodukten: Diese werden in diesem Falle oft von einem auf den anderen Augenblick völlig wertlos.
So stellt sich die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist. Das Problem: Da sie sich intuitiv kaum einschätzen lässt, bleibt nur der Rückgriff auf ein quantitatives Modell. Dazu dürfte jedoch kaum ein Privatanleger die Gelegenheit haben. So ist er alleine auf sein Bauchgefühl angewiesen. Das jedoch kann täuschen, selbst wenn er die theoretischen Zusammenhänge kennt.
.... als dass der Anleger ihr Risiko intuitiv erfassen könnte
Ein Modell zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Kursschwelle zu erreichen, vor allem von der Entfernung des aktuellen Preises vom Schwellenwert, von der Volatilität und nicht zuletzt von der Laufzeit des betreffenden Produktes abhängt. Je näher der Kurs am Schwellenwert, je höher die Volatilität und je länger die Laufzeit ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Schwelle berührt werden wird. Entsprechend gering sollte auch der Preis des entsprechenden Zertifikates sein.
Betrachtet man ein Hebelprodukt auf eine Währung mit einer Volatilität von zehn Prozent, einer Restlaufzeit von einem Jahr und einer Entfernung des aktuellen Kurses zur Schwelle von zehn Prozent, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sie erreicht werden wird, rund 25 Prozent. Läuft der Kurs des Basiswertes auf die Schwelle zu und ist schließlich nur noch fünf Prozent von ihr entfernt, so steigt die Wahrscheinlichkeit überproportional auf 55 Prozent. Das Chance-Risiko-Verhältnis liegt in diesem Fall unter eins zu eins.
Lässt sich dieser Zusammenhang noch ableiten, so wird es noch komplexer: Das Risiko ist nicht nur eindimensional auf den Kurs des Basiswertes beschränkt. Denn bewegt sich nicht nur der Kurs des Basiswertes auf die kritische Kursschwelle zu, sondern steigt gleichzeitig auch noch Volatilität an, so nimmt die Wahrscheinlichkeit für das Erreichen der Kursschwelle noch deutlicher zu. Bei hohen Volatilitäten - wie sie zum Beispiel im Aktienbereich möglich sind - dürften die Wahrscheinlichkeiten für das „Aus“ eines Produktes deutlich höher sein, als viele Anleger das intuitiv wahrnehmen mögen.
Aus diesem Grund dürfte es ratsam sein, solche Produkte kritisch zu betrachten. Dazu gibt unter anderem auch die regelmäßig langen Listen von „ausgeknockten“ Produkten der verschiedenen Börsen (siehe zum Beispiel: Die aktuellen "Ausfälle" bei Hebelzertifikaten) Anlass. Auch deutliche Kursrückschläge bei einzelnen Basiswerten oder ganzen Märkten an einzelnen Tagen oder in vergleichsweise kurzen Phasen können zu denken geben. Sie könnten zur Vermutung führen, manche professionelle Marktteilnehmer „fischten“ bestimmte Kursschwellen mit Absicht ab.
Die in dem Beitrag geäußerte Einschätzung gibt die Meinung des Autors und nicht die der F.A.Z.-Redaktion wieder