17. September 2004, 02:09, Neue Zürcher Zeitung
Milchtüten für goldfressende Bakterien
Umweltschutzanliegen bei der Elektronikproduktion
Immer leistungsfähigere Geräte immer kleiner und immer billiger zu produzieren: Das war noch bis vor kurzem die Hauptaufgabe der Elektronikindustrie, doch damit kann sie sich nicht mehr zufrieden geben. Es gilt - auf Druck der Konsumenten wie auch der Gesetzgeber -, Umweltschutzanliegen zu berücksichtigen. Die Fachkonferenz «Electronics Goes Green» bot einen Überblick über Probleme und Lösungsansätze.
Im Jahre 2000 machte sich die britische Archäologin Christine Finn ins Silicon Valley auf, über die Anfänge der Computerkultur zu recherchieren. Ihr Bericht «Artefacts. An Archaelogist's Year in Silicon Valley» beschreibt eindrücklich die enormen Umweltschäden, die die absterbende Computerkultur im Tal hinterlässt, das einstmals vom Anbau von Obst und Gemüse lebte. Bereits 1984 machte auch Everett Rogers in seinem «Silicon-Valley-Fieber» darauf aufmerksam, dass das Tal verseucht wird.
Seit einigen Jahren tritt die «grüne Elektronik» an, solche Verwüstungen möglichst zu verhindern. In Asien, wo heute die meisten Computer produziert werden, ist «Green Electronics» ein wichtiges Thema geworden. Dies zeigte sich auf der viertägigen Fachkonferenz «Electronics Goes Green 2004+», die kürzlich in Berlin stattfand. Bei den mehr als 500 Teilnehmern aus 34 Ländern stellte Asien das stärkste Kontingent.
In seiner Keynote betonte der Hongkong-Chinese Kei Biu Chan, Chairman der Hongkong Electronics Industries Association, wie wichtig die Beachtung «grüner» Standards in der Produktion geworden ist. Die Fabriken seiner Firma STM arbeiteten umweltschonend und mit den modernsten Methoden des Life-Cycle-Managements, weil sie vom Grosskunden dazu gezwungen würden: Die Firma baut Elektronikgeräte für Sony, wo man seit einigen Jahren rigide Umweltstandards eingeführt hat. Kei Biu Chan gibt den Druck an seine Lieferanten weiter: Wer keine Bauteile liefern kann, die die 30 bis 40 Grad höheren Temperaturen beim Löten ohne Blei aushalten, ist aus dem Geschäft.
Prominentester Redner der Tagung war Klaus Töpfer, Direktor des United Nations Environment Programme (Unep). Er zitierte Zahlen seines Büros, nach denen allein in Asien 150 Millionen PC existieren, von denen jeder vierte zur Ausmusterung anstehe. Doch auch in den Industrienationen wächst der Berg des Elektronikschrotts. «Nachdem wir die Entsorgung der Handys einigermassen in den Griff bekommen haben, stehen wir vor dem Problem, die MP3-Player sachgerecht zu zerlegen», erklärte Ab Stevels, der einst bei Philips für Eco-Design zuständig war und nun an der TU Delft in der Forschung tätig ist.
Je kleiner und kompakter die Bauteile werden, desto raffinierter müssen die Verfahren werden, um Rohstoffe zurückzugewinnen. So beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe auf der Mammutkonferenz mit über 170 Vorträgen mit Bakterien, die auf Leiterplatten Gold fressen sollen, das später aus ihnen wieder zurückgewonnen werden kann. Auch über die RFID-Chips wurde beratschlagt. Die winzigen Funkchips, die nach dem Willen der Industrie bald den Barcode auf den Produkten ersetzen sollen, sind aus der Sicht «grüner Elektroniker» richtige Monster. «Die Milchtüte mit aufgebrachtem Funkchip (RFID-Chip) mag für Logistiker ein Traum sein, für uns Verfahrenstechniker ist sie ein Albtraum. Nach dem heutigen Stand der Antennentechnik würde der Silberbedarf in Deutschland allein um 4000 bis 6000 Tonnen jährlich ansteigen, wenn alle Produkte mit diesen Chips ausgestattet werden.» grosse Chance, das Silber am Ende des Zyklus aus den Verpackungen zurückzugewinnen, zeige sich so die schmutzige, ressourcenvergeudende Seite der Elektronik, erklärte Kongressveranstalter Herbert Reichl, Leiter des Berliner Fraunhofer-Institutes für Zuverlässigkeit und Mikrointegration. Reichl organisierte zum zweiten Mal diese Konferenz und freute sich über den deutlichen Zuwachs an Teilnehmern und Themen.
Für die Praktiker der grünen Elektronik, die mit 54 Prozent die Mehrheit der Teilnehmer stellten, hatte der frisch pensionierte Ab Stevels Zuspruch und Ermutigung parat: «Eco-Designer denken nicht so sehr ans Geld, haben mehr Freude an ihrer Arbeit und kommen auf die besseren Ideen.» Zur Tagung gibt es einen 1086-seitigen Prachtband (ISBN 3-8167-6624-2) mit allen Referaten, der für 123 Euro im Buchhandel erhältlich ist. Eine ressourcenschonende CD ist nicht im Angebot.
Detlef Borchers
Quelle: http://www.nzz.ch/2004/09/17/em/page-article9UYZA.html
Ja..wir brauchen Visionen... na und ca. 4000 - 6000 to für Deutschland sind schon mal der Anfang... Hab mal ne Frage...Wie viel Länder gibt es auf der Welt ( bitte in Tonnen oder noch besser in Unzen!)