Aus "WELT AM SONNTAG" vom 19.9.2004
Zuversicht für Aktien wächst.
Aktuelle Finanzumfrage zeigt: Gold als Anlage verliert an Bedeutung, Börsen haben wieder Potenzial.
von Frank Stocker
Der Ölpreis hat seine Höchststände verlassen. Im Gleichschritt dazu haben die Aktienmärkte in den vergangenen vier Wochen wieder deutlich zugelegt und der Optimismus der Anleger ist gestiegen - sowohl unter den privaten Investoren als auch unter den professionellen Anlegern.
Das zeigt auch die aktuelle Umfrage der "Welt am Sonntag" und der Münchner Forschungsgruppe Südprojekt unter den Anlage-Experten aus 15 Banken. Das wichtigste Ergebnis: Sie haben ihre Erwartungen für die Börsen erneut ein wenig angehoben. Parallel zur gestiegenen Zuversicht hat aber Gold, das Zufluchtsinvestment in unruhigen Zeiten, für sie an Bedeutung verloren.
Bei der Umfrage des vergangenen Monats hatten die Volkswirte und Analysten schon prophezeit, dass die damalige Schwächephase der Aktienkurse in Kürze vorbei sein werde und sie sagten einen deutlichen Anstieg des Dax bis Ende September auf durchschnittlich 3827 Punkte voraus. Diese Marke hat der Index inzwischen sogar schon übertroffen.
Folglich erwarten die Experten nun für die nächsten vier Wochen eine weitere Verbesserung. Im Schnitt glauben sie sogar, dass der Dax demnächst die Marke von 4000 Zählern wieder nachhaltig überspringen wird. Die Optimisten betrachten sogar 4150 Punkte als möglich und selbst die größten Pessimisten glauben nicht, dass der deutsche Leitindex noch einmal unter 350 Zähler fällt.
Die Experten lassen sich auch nicht von den jüngsten Äußerungen einiger Wirtschaftsforscher beirren, die für das kommende Jahr schon wieder eine nachlassende Konjunktur erwarten. "Wir sind wesentlich optimistischer", sagt Michael Schubert von der Commerzbank. "Damit es wirklich zu einer Abschwächung kommt, müsste der Ölpreis wieder deutlich höher steigen."
Doch genau hier liegt das größte Risiko für Wirtschaft und Aktienmärkte. Zwar ist die Marke von 50 Dollar für das Barrel am Terminmarkt wieder in weite Ferne gerückt. Dennoch bewegt sich der Preis für Rohöl immer noch über 40 Dollar und damit um rund zehn Dollar höher als noch vor Jahresfrist. "Wenn der Preis nicht bald unter 40 Dollar fällt, kann das durchaus wirtschaftliche Bremsspuren hinterlassen", glaubt Jürgen Michels von der Citigroup.
Doch derzeit sieht es nicht danach aus, dass dieser Wert wieder unterschritten wird. Noch vor Monatsfrist hatten zwar alle Experten einhellig bekundet, dass im gegenwärtigen Preisniveau ein hoher Anteil Spekulation enthalten sei. Der "echte" Preis wurde auf rund 35 Dollar beziffert. Doch auch nach dem Ende der Spekulationswelle ist ein solches Preisniveau noch in weiter Ferne, sodass viele Experten mittlerweile darüber nachdenken, ob der spekulative Anteil nicht wesentlich niedriger ist als zuvor gedacht.
"Wenn dem so ist, dann müssten tatsächlich alle Prognosen auf den Prüfstand", sagt Commerzbank-Volkswirt Schubert. Einerseits müssten dann die Wachstumsprognosen etwas nach unten revidiert werden, viel stärker müssten aber die Inflationsvorhersagen nach oben korrigiert werden.
Dies wiederum hätte Konsequenzen für die Notenbanken - allerdings in höchst unterschiedlicher Weise. Die amerikanische Zentralbank hat die Vorgabe, die Konjunktur zu beleben. Sollte das Wachstum unter einem höheren Ölpreis leiden, müsste sie also mit Zinssenkungen, mindestens aber mit einem Stopp des Zinserhöhungszyklus antworten.
Für die Europäische Zentralbank ist im Gegensatz dazu die Preisstabilität das oberste Ziel. Sollten die Preise noch schneller steigen, müsste sie mit höheren Zinsen reagieren. Dies hat EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing auch bereits klar gemacht, als er in der vergangenen Woche sagte, dass er die erhöhte Teuerung "mit Besorgnis" betrachte.
Dies sind bislang nur theoretische Erwägungen. "Wir glauben nicht, dass die Europäische Zentralbank vor dem ersten Quartal kommenden Jahres aktiv wird", sagt Jürgen Michels. "Wir warnen auch vor einer Überinterpretation der aktuellen Äußerungen."
Vielmehr glaubt er, dass die Eurozone in den kommenden Monaten besser abschneidet als die USA. "In den USA haben einige Branchen den Gipfel des Gewinnzyklus bereits wieder überschritten", so Michels. Dort seien daher keine starken Kursanstiege mehr zu erwarten. Europa hinke hingegen der Entwicklung noch hinterher und könne noch für Überraschungen sorgen.
Andererseits ist kaum zu erwarten, dass der Dax den Dow Jones längerfristig abhängt. Daher sehen die Prognosen der Experten bei der Umfrage für beide Indices ungefähr die gleiche Entwicklung voraus. Innerhalb der kommenden sechs Monate erwarten sie eine Kurssteigerung von durchschnittlich rund sieben Prozent bei beiden Indices.
Doch Experten stellen ihre Vorhersagen unter die Prämisse, dass der Ölpreis nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht und die Geopolitik einigermaßen stabil bleibt. Sie sehen im Moment daher kein großes Potenzial für Gold. Der Preis für die Feinunze Gold dürfte nach ihrer Einschätzung auf dem gegenwärtigen Niveau verharren und selbst auf Sechs-Monats-Sicht nur unwesentlich anziehen. Terroranschläge oder neue Rekorde am Rohölmarkt könnten dieses Bild jedoch auch sehr schnell umkehren und zu einer neuerlichen Flucht ins Gold führen.
Artikel erschienen am 19. September 2004
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Kuddel