Quelle: Neue Solidarität Nr. 27/2007 (Abobeitrag, http://www.solidaritaet.com/neuesol/2007abo/27/giftmuell.htm)
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Die Probleme der Bear Stearns-Fonds bieten einen Einblick, wie die Wall Street versucht, ihren „finanziellen Giftmüll“ zu verstecken.
Der Name ist hochtrabend: „Fonds mit verstärkter Hebelwirkung durch hochwertig strukturierte Kreditstrategien“ - High-Grade Structure Credit Strategies Enhanced Leverage Fund. So nennt sich ein Hedgefonds der New Yorker Investmentbank Bear Stearns. Von seinen „Anlegern“ hatte er 600 Mio.$; dann borgte er sich noch 6 Mrd.$ von Großbanken wie Merrill Lynch, JP Morgan Chase, Citigroup, Deutsche Bank und Lehman Brothers; und mit dem Geld schloß er Finanzwetten über etwa 16 Mrd.$ ab. Doch ganz so „hochwertig strukturiert“ waren seine Spekulationsstrategien nicht. Im laufenden Jahr verlor der Fonds rund 20% seiner Einlagen, und als die Anleger sich anschickten, 300 Mio.$, also die Hälfte der ursprünglichen Einlagen, wieder abzuziehen, setzte er die Auszahlungen aus.
Auf Anraten des durch die Telekom-Beteiligung berühmt-berüchtigten Fonds Blackstone soll Bear Stearns den Gläubigern folgende Rettungsaktion vorgeschlagen haben: Sie sollen 500 Mio.$ aufbringen, damit er Nachschußforderungen erfüllen kann, Bear Stearns selbst würde 1,5 Mrd.$ aufbringen. Außerdem sollen die Gläubiger zwölf Monate lang auf weitere Nachschußforderungen verzichten.
Nimmt man die Hilfen für einen zweiten, ähnlichen Bear Stearns-Fonds namens HGSCF hinzu, dann ist das mit 3,2 Mrd.$ das größte Rettungspaket seit dem für den Fonds LTCM im Jahr 1998, das waren 3,6 Mrd.$ gewesen. Wie damals spielt wohl auch heute das sog. „Absturz-Verhinderungsteam“ aus Regierung und Finanzwelt eine Rolle. Die Rettungsaktion soll zweierlei verhindern: 1. daß die Gläubiger der beiden Fonds deren Besitz pfänden und veräußern, und 2. daß das Scheitern der Fonds das Finanzsystem zum Einsturz bringt.
Die Bear Stearns-Fonds waren darauf spezialisiert, minderwertige „Subprime-Hypotheken“ in höherwertige CDO-Anleihen (Collateralized Debt Obligations) zu verwandeln - vergleichbar dem Versuch, Kieselsteine zu Diamanten zu schleifen. Das geht so: Man nimmt z.B. ein Paket minderwertiger Hypotheken, die per Definition ein niedriges Rating haben, als Sicherheit für ein neues Wertpapier, ein CDO. Die CDO-Anleihe ist in verschiedene Tranchen geteilt (das ist die „Struktur“), von denen einige mit größerer Wahrscheinlichkeit bezahlt werden können als andere. Die am höchsten bewerteten Tranchen haben oft ein besseres Rating als die eigentlichen Hypotheken. Die riskantesten Tranchen fallen oft in eine Kategorie noch unter dem „Ramsch“, man spricht auch von „Giftmüll“.
Bisher geht das - scheinbar - gut, weil unser Finanzsystem sich in ein großes Spielkasino verwandelt hat, wo man Geld zu niedrigen Zinsen borgt (das ist die „Hebelwirkung“) und auf Papiere mit höherer Rendite wettet. Da dies grundsätzlich riskant ist - schließlich hat vieles, was da gekauft wird, keinen wirklichen Wert - entwickelte sich ein wachsender Markt von „Kreditausfall-Swaps“, also Derivate, die nominell den Wert der Papiere versichern (das sind die „Kreditstrategien“). Doch das tun sie nur nominell, denn die Institute, die diese Kreditversicherungen anbieten, sind ebenfalls Spekulanten und würden sich in Luft auflösen, sobald sie große Zahlungen leisten sollen. Außerdem wächst der Markt der Kreditderivate schneller als die Kredite selbst, nach Schätzungen der Citigroup wird er im kommenden Jahr mindestens doppelt so groß sein. Das zeichet den Derivatmarkt überhaupt aus: Die Wetten, die auf Anleihen, Aktien, Kredite, Devisen und anderes geschlossen werden, sind um ein Vielfaches größer als diese selbst.
Das bedeutet, daß der Großteil der „Investitionen“ gar keine Käufe von Anleihen, Aktien oder Devisen sind, sondern nur Wetten auf die Entwicklung ihrer Kurse oder der aus ihnen abgeleiteten Wertpapiere. Von wirklicher Investition kann keine Rede sein.
Als die Schwierigkeiten der Fonds von Bear Stearns wuchsen, kassierte einer der kleineren Gläubiger, Lehman Brothers, seinen Anteil an verpfändeten CDOs und verkaufte sie, erhielt dabei aber nur 50 Cent je Dollar Nennwert. Einer der großen Gläubiger, Merrill Lynch, drohte, seine 825 Mio.$ an Bear Stearns-CDOs auf dem Markt zu versteigern; 100 Mio.$ an höherwertigen CDOs soll Merrill Lynch schon verkauft haben. Aber hätte die Bank auch die übrigen CDOs auf den Markt geworfen, hätte man wohl festgestellt, daß die auch nur 50 oder gar nur 30 Cent pro Dollar wert sind. Und dann müßten sämtliche Inhaber von CDOs, insbesondere solchen, die durch minderwertige Hypotheken gedeckt sind, ihre Bestände entsprechend um 50% abwerten. Hunderte von Milliarden an fiktiven CDO-Werten müßten abgeschrieben werden, und ein wesentlicher Teil der weltweiten Finanzblase würde sich in Luft auflösen. Es folgte eine Kettenreaktion der Abwertung weiterer Finanzinstrumente, etwa der Kreditderivate von CDOs, und eine schwere Störung des 750-Billionen-Dollar-Marktes der Derivate, die das ganze Finanzsystem mitreißen würde.
Die Krise betrifft außerdem auch Everquest Financial, eine von Bear Stearns gegründete Firma mit Sitz auf dem Cayman-Inseln, die demnächst an die Börse gebracht werden sollte und nun wohl liquidiert werden muß. Everquest hatte die riskantesten Tranchen der beiden Bear Stearns-Fonds gekauft - gestützt auf Bewertungen von Bear Stearns und mit geborgtem Geld. Die Bear Stearns-Fonds, die eine Mehrheit an Everquest Financial halten, verkauften der Firma auch Kreditderivate, um sie gegen einen Ausfall der CDOs zu versichern.
Das ganze erinnert an das Verhältnis des Bankhauses Kidder Peabody zum Hedgefonds Granite, die beide 1994 in der Krise der hypothekenbesicherten Wertpapiere („mortgage-based securities“, MBS) untergingen. Damals war Kidder Peabody, eine alte Investmentbank, die General Electric gehörte, führend auf dem MBS-Markt. Als die steigenden Zinsen eine Flut von Refinanzierungen der Hypotheken auslösten, sorgte das für Turbulenzen auf dem MBS-Markt, und der Hedgefonds Granite scheiterte. Es stellte sich heraus, daß Kidder Peabody Granite als „Giftmülldeponie“ benutzt und ihm die riskantesten Tranchen der MBS verkauft hatte. So konnte Kidder Peabody diese Tranchen aus ihren Büchern streichen und ihren Gewinn scheinbar vergrößern. Auch Kidder ging 1994 unter, aber weil die Mutter GE tief in die Tasche griff und man einen „Einzeltäter“ als Sündenbock fand, etwas eleganter.
Natürlich hat sich seit 1994 so manches verändert. Die Menge des Giftmülls, der im Finanzsystem versteckt wird, wächst exponentiell, und das ist nur eine der Zeitbomben, die die Bankiers entschärfen müssen, wenn sie Luft aus der Blase herauslassen wollen, ohne eine katastrophale Kettenreaktion auszulösen.
John Hoefle