Auszüge aus meinem Börsenbrief von gestern…
FOMC: Welche Entscheidungen sind zu erwarten?
in der Vorwoche hatte ich mit „US-Zinspanik“ getitelt. Das ließe sich noch steigern mit „US-Zinshysterie“. Unter Betrachtung der aktuellen Marktentwicklungen könnte der Eindruck entstehen, als würde der US-Offenmarktausschuss (FOMC) in seiner heutigen und morgigen Sitzung über den Weltuntergang beraten. Dabei waren und sind die Kernerwartungen nicht einmal neu. Bereits seit Januar/Februar ist klar, dass es stärkere Leitzinserhöhungen geben wird. Bereits seit Januar diskutierten einige FOMC-Mitglieder über ein Quantitative Thightening (QT) zur Reduzierung der Notenbankbilanz.
Aber nach dem Zinsentscheid im März mit der eingeleiteten Leitzinswende um +0,25% meinten die Akteure an der Wall Street wieder zur Tagesordnung übergehen können. Dass sich dies als Trugschluss herausgestellt hat, war wenig überraschend. Bereits im März sollte eine Leitzinserhöhung um +0,50% erfolgen. Mit Rücksicht auf die umfassenden Sanktionen gegen Russland und deren Rückkoppelung auf den Westen folgte dann lediglich eine Erhöhung um einen Viertelpunkt.
Fed Funds Futures preisen Leitzinsanstieg bis auf über 3% ein
Seit Mitte April zieht eine spürbare Nervosität durch die Märkte, da Fed-Chef Jerome Powell mehrfach in Statements klar machte, dass die Inflationsbekämpfung nunmehr im Vordergrund stehe. Damit wurde den Marktteilnehmern bewusst, dass die hohen Inflationszahlen nunmehr Konsequenzen nach sich ziehen. Daraufhin machten die Märkte sich sofort ans Werk und preisten in den vergangenen Wochen schon mal die Entwicklung der nächsten zwölf Monate ein.
Ersichtlich ist dies an den Futures (Terminkontrakte) der „30-Day Fed Funds“. Aktuell notiert die Federal Funds Rate in der von der Fed festgelegten Spanne zwischen 0,25% bis 0,50%. Die Markterwartung geht am morgigen Mittwoch von einer Leitzinserhöhung um +0,50% aus. Die Fed Funds Rate würde dann auf die Spanne 0,75% bis 1,00% steigen. Bei den 30-Day Fed Funds Futures wird auf 12-Monats- Basis bereits ein Leitzinsanstieg bis auf knapp über 3% eingepreist.
Hielten sich die Anleihenmärkte zunächst noch zurück, scheint es nunmehr in die Gegenrichtung (Zinsanstiege) kein Halten mehr zu geben. Dies zieht sich durch alle Marktbereiche. Entsprechend hoch sind die Rückkoppelungen auf alle anderen Finanzmärkte mit einer spürbar steigenden Volatilität.
Bei einem Vergleich der Entwicklung der Fed Funds Futures seit der Jahrtausendwende gab es zwischenzeitlich immer wieder kurzfristige Marktphasen, wo die Zinserwartung oberhalb der Entwicklung des Leitzinses lag. Beispielsweise belief sich die Differenz der Fed Funds Futures im Sommer 2008 trotz der angespannten Entwicklung am US-Immobilienmarkt um mehr als +1% oberhalb der Leitzinsen. Das löste sich allerdings schnell wieder auf.
Märkte überschätzen das Zinserhöhungspotenzial
Bezieht man die morgige Leitzinserhöhung um +0,50% bereits ein und geht hier vom oberen Rand bei 1% aus, befinden sich die Fed Funds Futures (12 Monate) immerhin mehr als +2% darüber. Das ist schon sehr extrem.
Beim letzten Leitzinserhöhungszyklus lag das anvisierte Ziel der damaligen Fed- Chefin Janet Yellen bei 3%. Das Ziel wurde von ihrem Nachfolger Jerome Powell übernommen, aber nie erreicht. Bei 2,5% war Schluss. Die hohe Inflationsrate von derzeit +8,5% mag ja allerlei Zinsphantasien befördern, aber selbst ein Anstieg bis auf das vorherige Hoch von 2,5% wäre schon als ambitioniert einzustufen.
Denn am morgigen Mittwoch kommt ein zweiter Punkt hinzu, nämlich der Entscheid des FOMC über ein QT-Programm. Möglicherweise bleibt man hier unterhalb der 100 Mrd. US$-Marke und reduziert die Fed-Bilanz ab Ende Mai oder ab Anfang Juni um jeweils -95 Mrd. US$ je Monat. Davon würden 60 Mrd. US$ auf US-Staatsanleihen und 35 Mrd. US$ auf Hypothekenanleihen entfallen.
QT-Programm wirkt zusätzlich belastend
US-Investmentbanken kalkulieren mit einem Effekt, der im zweiten Halbjahr mit einer zusätzlichen Leitzinserhöhung von rund +0,50% vergleichbar ist. Solche Übertragungen wirken zur Darstellung der Dimension dieser Maßnahme ja ganz nett, sind aber unbrauchbar. Denn es geht in diesem Fall direkt an die Liquidität. Zwar werden keine Anleihen verkauft, aber die Fed hat einen dermaßen hohen Bestand an Staats- und Hypothekenanleihen, dass sie konstant auslaufende Anleihen ersetzen muss.
Bei diesem Ersatz werden dann vorerst Anleihen in einem Volumen von 95 Mrd. US$ je Monat nicht mehr ersetzt. Dies greift die Liquiditätsversorgung indirekt an, da entsprechend neu emittierte Anleihen im vorgenannten Volumen von der Fed nicht mehr gekauft werden und somit andere Abnehmer finden müssen. Dies wiederum sorgt nicht nur für eine Verschlechterung der Liquidität, sondern ebenso für einen latenten Aufwärtsdruck der Zinsen. Der wiederum ist „gefühlt“ höher als die von den US-Investmentbanken kalkulierten 0,50% Zinserhöhungsäquivalent.
Mit dieser Mixtur an Maßnahmen fällt die Fed von einem Extrem ins andere. Dies wiederum reflektieren derzeit die Finanzmärkte.
Daraus resultiert dann auch prompt die Sinnfrage.
Nach der Finanzkrise 2008/09 hatten die Notenbanken inoffiziell beschlossen, keine Rezession mehr zuzulassen. Daraus entstand dann im 2010er-Jahrzehnt das sogenannte Goldilocks-Szenario (gemäßigtes Wirtschaftswachstum auf Basis einer expansiv ausgerichteten Geldpolitik).
US-Notenbank: Weg von der Rezession, hin zur Rezession
Die Corona-Pandemie war zuvor nicht absehbar, ebenso wenig die damit einhergehenden Folgen und war die Zäsur im März 2020. Die US-Konjunktur rutschte schlagartig in die Rezession. Um diese zügig zu beenden wurden die US- Finanzmärkte mit einer nie zuvor beobachteten Liquiditätsflutung überspült. Parallel explodierten die staatlichen Ausgabeprogramme. Die Mixtur aus extremer Geld- und Fiskalpolitik dämmte die Rezession zügig ein.
Die eigentlichen Fehler wurden schon kurz darauf gemacht, in dem diese Politik ungebrochen und dumpf fortgesetzt wurde – es fehlte jegliches Feintuning der Maßnahmen. Vonseiten der Fed hatte man schlicht kein Vertrauen in die Entwicklung. Alles sollte wieder so sein wie vor der Pandemie. Das relevanteste Barometer für Fed- Chef Powell war und ist die Arbeitslosenquote, die wieder auf das Tief vor der Pandemie fallen sollte. Ein sehr ehrgeiziges Ziel, dass im März mit einer Quote von 3,2% erreicht wurde. Allerdings zum Preis hoher Inflationszahlen.
Da diese immer mehr zum Politikum werden, rückt nunmehr die Bekämpfung der Inflation immer stärker in den Vordergrund. Setzt die Fed die geplanten Maßnahmen nunmehr systematisch um, lenkt sie die US-Konjunktur auf Rezessionskurs. So betrachtet völlig absurd. Es fehlt – auch an den Märkten – die Erkenntnis, dass die Fed (und das FOMC) nicht über die Handlungsspielräume verfügt, die sie sich derzeit einredet.
Ein Gedanke zum nächsten Richtungswechsel der Fed
Somit wird in bereits absehbarer Zeit der nächste Richtungswechsel folgen. Es ist zwar zu früh, sich mit den damit einhergehenden Szenarien zu befassen. Ich gehe aber davon aus, dass die Fed im zweiten Halbjahr ausgebremst wird und dann Kompromisse trotz noch relativ hoher Inflationszahlen machen muss. Dann wiederum werden wir mit einer Situation konfrontiert, die insofern „neu“ ist, da die alten Marktmuster nicht greifen werden. Hauptprofiteur dieser Entwicklung sind die Edelmetalle.
Nur muss die Phase bis zu diesem noch offenen Zeitpunkt durchgestanden werden. Insbesondere mit Blick auf die Edelmetallaktien gestaltet sich die Lage so oder so immer anspruchsvoll. Eine Komponente, die akzeptiert werden muss, um sich von der relativ hohen Volatilität nicht kirre machen zu lassen. Die Edelmetallsektoren gerieten seit Mitte April ebenfalls unter Druck – rein zinsbedingt. Im Verhältnis zur Entwicklung des Euro und Yen präsentiert sich Gold trotz der jüngsten Rückgänge aber relativ gut.
Ein Cashanteil hat in der aktuellen Marktphase seine Relevanz
Wenn Sie in diesem Bereich bereits stark positioniert sind, empfehle ich Ihnen auf dem aktuellen Niveau keine Käufe. Die kommen nur für Anleger in Betracht, die entweder gar nicht oder nur unterproportional involviert sind. Halten Sie grundsätzlich Cash für den Fall einer außergewöhnlichen Entwicklung vor, da Sie in diesem Fall handlungsfähig bleiben. Das bedeutet nicht, dass ich mit so einer Entwicklung fest rechne. Der HUI müsste beispielsweise beträchtlich tiefer notieren, bevor ich meine Positionen in Edelmetallaktien weiter aufstocken würde.
Es bleibt abzuwarten, ob der Gesamtmarkt auf eine langfristig strategische Kaufchance zusteuert
Investments in Tech-Sektoren würde ich bei einer langfristigen Kaufchance in Erwägung ziehen (Information Technology sowie Halbleiter), nur ist es dazu derzeit noch zu früh. Die letzte große strategische Kaufchance im Gesamtmarkt auf markttechnischer Basis gab es im Rahmen der Finanzkrise 2008/09, zuvor zwischen Herbst 2002 bis März 2003. Eine solche Kaufchance ist überfällig und könnte noch in diesem Jahr folgen. Nur wird diese ihre eigenen Rahmenbedingungen haben.
Kurzfristig stehen zunächst Erholungsrallys an. Dies betrifft den Euro, den Yen, die führenden US-Aktienindizes, die Euro-Aktienmärkte, die US-Staatsanleihen quer durch alle Laufzeiten sowie die Edelmetalle. Da hat sich kurzfristig einiges aufgestaut.