Interessanter Artikel aus der FTD vom 5.9.2003. Trifft den Kern der Großverarsche a la Förtsch, aber auch der sonst als "seriös" geltenden Machenschaften.
Gruß,
Paco
Artikel
Marktauguren auf Sinnsuche
Prognosen für Aktien, Zinsen und Devisen liegen nicht nur zufällig, sondern mit System daneben. Es könnte sein, dass es uns besser ginge, wenn die Anleger daraus ebenso radikale Konsequenzen zögen.
Würden Sie einem Arzt vertrauen, dessen Herzoperationen bislang zu 81 Prozent fehl schlugen? Wahrscheinlich nicht - es sei denn, sie wussten nichts vom katastrophalen Ausmaß des Doktorenversagens. Genau so könnte es mit Anlegern und Bankberatern sein. Nach neuen Studien stehen die Erfolgschancen beim Geldanlegen jedenfalls nicht besser als beim zitierten Mediziner - zumindest für die, die auf die Finanzauguren vertrauen. Trotzdem hält sich die Gilde der Marktprognostiker wacker. Noch.
Was die meisten Anleger finanziell zu spüren bekommen, seit sie das Platzen der Aktienblase 2000 überraschte, ist kein Zufall. Darauf lassen gleich mehrere Auswertungen von Daten aus den vergangenen zehn Jahren schließen.
Ob bei Aktien, Devisen oder Zinsen: Die Fehlprognosen haben bei Finanzanlagen offenbar System, wenn auch ungewollt. Und es könnte volkswirtschaftlich etwas Gutes haben, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Ohne Finanzprognosen wären wir reicher
Bei mehr als der Hälfte aller Währungsprognosen stimmt am Ende nicht einmal die Richtung, fand der Würzburger Volkswirt Robert Schmidt heraus, als er über gut vier Jahre die Vorhersagen prüfte, die Reuters, Consensus Economics und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) monatlich bei Hunderten Analysten ermittelten.
Mindestens ebenso bitter fallen nach Berechnungen des Wolfsburger Ökonomen und ehemaligen Finanzanalysten Markus Spiwoks die Tests bei Zins- und Aktienindexprognosen aus.Der Realitätscheck ergab, dass 81 Prozent der Wendepunkte ausblieben, die der Dax laut den Auguren hätte nehmen müssen. Nur 17 Prozent der tatsächlichen Wendungen waren im Schnitt umgekehrt von den vermeintlichen Experten korrekt erwartet worden.
Was besonders auffällt: Die Fehlprognosen treten erstaunlich regelmäßig und ohne große Unterschiede zwischen den Autoren auf. Und mehr noch: Fast immer korrelieren die Vorhersagen weit stärker mit jenen Kursen, die zum Zeitpunkt der Prognose gerade notiert worden waren, als mit den künftigen, die eigentlich vorhergesagt werden sollten. Kurz: Die Prognostiker machen im Schnitt nichts anderes, als die Vergangenheit fortzuschreiben - die Prognosen laufen mit absurdem Gleichlauf hinterher. Und weil die Realität selten unverändert bleibt, ist das die denkbar schlechteste Prognose.
Beispiel Euro: Der Höhenflug stoppte schon im Juni, erst Wochen später revidieren die Analysten auch ihre Prognosen - jetzt nach unten.
Hühnerhaufen-Prinzip
Was bei Konjunkturprognosen noch einigermaßen funktioniert, geht bei Finanzdaten völlig daneben. Für Firmen und Investoren bedeute es "ein hohes Risiko", wenn sie bei ihrem Währungsmanagement auf Marktprognosen bauten, sagt Devisenforscher Schmidt. Wie Spiwoks unkt, hätte etwa die Deutsche Bank in den 90er Jahren zwar keine guten, aber immerhin bessere Zinsprognosen gemacht, "wenn sie ihre Prognosebemühungen eingestellt" und stattdessen stets die aktuellen Zinsen fortgeschrieben hätte.
Was das für die Zukunft bedeutet, hängt stark von der Frage ab, ob die Ursachen für das Prognosedebakel zu beheben sind. Was den Analysten fehlt, sind haltbare Modelle dafür, wie und warum Kurse steigen oder fallen (sollen). Derzeit wird die Begründung oft peinlich nachgereicht. Vor ein paar Monaten galten die US-Staats- und Außendefizite noch als klarer Grund für den schwachen Dollar. Jetzt steigt der Dollar ungeachtet noch stärkerer Defizite, und plötzlich liegt das angeblich am höheren US-Wachstum gegenüber Europa - als hätte sich daran irgendetwas geändert.
Für viele Wirtschaftspsychologen ist das Hühnerhaufen-Prinzip erklärbar: Weil kein Analyst gesichert prognostizieren kann, ist es am unauffälligsten, der Herde zu folgen - und die orientiert sich mangels Modell an sehr einfachen und oft wechselnden Faustregeln.
Präferenz für Florida-Rolf
Der Umkehrschluss lautet: Wenn es ein Standardmodell gäbe, an das alle glauben, wäre das Auf und Ab der Kurse einfacher zu deuten - und zu prognostizieren. Zumindest bestünden Chancen, dass die Auguren nicht mehr systematisch daneben liegen. Ein solches Modell müsste allerdings von Leuten wie Volkswirten entwickelt werden. Und die beschäftigen sich zumindest in Deutschland lieber mit Grundsatzfragen - oder damit, wie vermeintlich faule Empfänger von Sozialleistungen in Arbeit zu bringen sind; weniger oft mit weltwirtschaftlich gravierenden Phänomenen.
Bliebe laut Spiwoks der Rat für Anleger, auf passive Strategien zu setzen, solange es kein verlässliches Prognosemodell gibt: Wer seltener kauft und verkauft, spart Gebühren und Kosten für Tipps, die ohnehin oft schädliche Wirkung haben. Wenn alle das machten, würden die Märkte an Nervosität verlieren und es womöglich seltener zu ökonomisch schädlichem Überschießen von Kursen kommen.
Einziger bescheidener Nachteil der paradiesisch wirkenden Utopie kollektiver Anlegerträgheit: Wenn jeder nur noch alle zwei Jahre umschichtete, verlören die Märkte ihren eigentlichen Zweck. Denn der besteht ja darin, künftige Erträge einzelner Firmen und Währungen früh zu erkennen und Aktien wie Devisen entsprechend zu kaufen.
Wenn es mit hoher Sicherheit schädlich ist, sich systematisch an Finanzprognosen zu halten, ist es für jeden Anleger im Zweifel besser, schlafen zu gehen. Volkswirtschaftlich könnte es indes lohnen, wenn sich der eine oder andere Topökonom eine Zeit lang von der Therapiesuche für "Florida-Rolf" oder ähnliche Fälle ohne größeren Belang trennen könnte.
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Quelle: FTD