Strafzins von minus zehn Prozent"Immobilienblase sondergleichen" – Experte entsetzt über IWF-Vorschlag
In einem Strategiepapier für den Internationalen Währungsfonds werben zwei Ökonominnen für die Einführung von 10-prozentigen Strafzinsen. Das könnte nicht nur eine extreme Immobilienblase auslösen, sondern unser Wirtschaftssystem ernsthaft ins Wanken bringen – und billiger werden Häuser dadurch auch nicht.
Wer einen Baukredit abschließt, zahlt üblicherweise drauf. Aktuell zwar nicht besonders viel, aber immer noch mehr als nötig, wenn es nach zwei Ökonomen geht: Katrin Assenmacher, Leiterin der Abteilung Geldpolitische Strategie der EZB, und Signe Krogstrup. Sie war bis 2016 Vizedirektorin und stellvertretende Leiterin geldpolitische Analyse bei der Schweizerischen Nationalbank und ist heute führende IWF-Researcherin.
Das Duo rät den Zentralbanken in ihrem neuesten Strategiepapier für den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Leitzinsen auf bis zu minus zehn Prozent zu senken, sollte die Welt nicht bald die Konjunkturschwäche überwinden (zum Papier geht es hier, engl.).
Hohe Kosten für Bargeld und Gold
Flankiert werden soll die Zinssenkung von verschiedenen Maßnahmen, die dafür sorgen, dass die niedrigen Zinsen vor allem auf dem Immobilienmarkt ankommen. So sollen die Strafgebühren auf Direkteinlagen von Geldhäusern und institutionellen Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen bei den Zentralbanken deutlich steigen. Auch eine Regulierung des Goldbesitzes wäre denkbar. So würde sich die volle Kraft der Maßnahme auf dem Immobilienmarkt entfalten. Und angesichts der Positionen der Verfasserinnen wäre von Banken und Investoren unklug, das Papier als krude Theorie abzutun.
Schon in den vergangenen Monaten sind die Zinsenauf Immobiliendarlehen noch weiter gesunken. Allein im Juni fielen die Zinssätze für fünfjährige Hypothekendarlehen von durchschnittlich 0,79 Prozent auf 0,71 Prozent, wie eine eine Auswertung der FMH-Finanzberatung Max Herbst zeigt, aus der die "Welt" zitiert.
Für Darlehen mit zehnjähriger Laufzeit sank der Durchschnittszinssatz im selben Zeitraum von 0,96 Prozent auf 0,86 Prozent. Das ist laut "Welt" der tiefste Stand der Nachkriegsgeschichte. Für Immobilienkredite mit 20-Jähriger Laufzeit liegt der durchschnittliche Zins bei 1,45 Prozent. Das ist laut "Welt" weniger als das, was Kunden noch im Februar für 10-Jährige Darlehen gezahlt haben.
Zu schön, um gut zu sein
Analysten sehen das IWF-Papier sehr kritisch. „Durch die im IWF-Papier vorgeschlagenen extrem tiefen Negativzinsen würde sich eine Immobilienblase sondergleichen aufblähen", sagt Stefan Mitropoulos, Immobilienanalyst bei der Landesbank Hessen-Thüringen, der "Welt". Die Bank ist mit einem Kreditbestand von 35,3 Milliarden Euro zu Jahresbeginn der größte Gewerbeimmobilienfinanzierer in Deutschland. Zu viele Menschen würden also in Folge der Zinssenkung auf Immobilien setzen – und zwar auch solche, die es sich eigentlich gar nicht leisten können.
Das bedeutet: Will die Zentralbank die Zinsen nach einer überstandenen Rezession wieder heben, würde sie damit Masseninsolvenzen von Häuslebauern riskieren, die keine Anschlussfinanzierung mehr bekommen. Mit den Immobilien selbst gehen die Banken auch eigene Risiken ein, weil die Preise sinken würden, sobald die Zinsen wieder steigen. Die Negativzinsen wären damit über Jahrzehnte oder noch länger extrem niedrig – außer die Verantwortlichen nehmen eine neue Krise in Kauf.
Das zeigt etwa das Beispiel aus Japan, wo die Zentralbank im Jahr 1999 erstmals die Zinsen strich – bis heute dümpelt der Zinssatz nahe der Nullgrenze, aktuell bei 0,1 Prozent.
focus