Teil2:
leicht sogar ein Staat ins Wanken: kein Problem, die Notenbank, die ihre Schulden bekanntlich selber herstellen (= Geld drucken) kann, zieht alles auf sich. Schon die Aussicht auf die endlose unkonditionierte Zahlungsbereitschaft der Notenbank lässt jeden Versuch der Kritik und erst recht jeden Vollstreckungsversuch im Ansatz scheitern.
Nur leider: Die Casino-Theorie ist falsch, die permanente Crash-Verhinde-rung per Notenbank muss scheitern. Zunächst stimmt die Casino-Theorie ja schon irn Casino nicht. Eine Veranstaltung, in der jeder Mitspieler jeden Verlust, den er macht, sofort ersetzt bekommt, findet nämlich gar nicht erst statt. Die Leute gehen nicht ins Casino, um dort mit belanglosen Chips zu spielen, die in unbegrenzter Menge vorhanden sind, sondern sie spielen um Geld, konkret: Sie spielen um vollstreckbare Differenzen.
Dieses lässt sich nun auf die ganze Volkswirtschaft übertragen:
1. Werden Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse, Basis und Essenz des gesamten kapitalistischen Prozesses, nicht mehr vollstreckt, sondern nur noch hochgebucht, hört alsbald jegliche ökonomische Dynamik auf. Die Wachstumsraten gehen zurück, werden schliesslich negativ. Die freie Wirtschaft endet in Marasmus und Kältetod.
2. Gleichzeitig verflüssigt sich das System immer mehr. Forderungen gegen die Notenbanken beziehungsweise unmittelbar von den Notenbanken «garantierte» Aktiva schaffen immer grössere Liquiditäten. Die Geldmengen steigen.
Die «Financial Times» brachte die Situation, in der sich ein per Notenbanken gestreckter Kapitalismus befindet, in einem Leitartikel am 6. September auf den schlichten Nenner: «Cash Strang, Orders Weak.»
Kluge Köpfe fordern das Ende bereits. Denn ein Kapitalismus ohne Pleite ist ein Monster, gegen das alle bisherigen Konfigurationen der Wirtschaftsgeschichte verblassen. Jan Toporowski, der Chefökonom der Standard Chartered Bank in London, also ein Vertreter des Gewerbes, das vom Hochbuchen per Zinseszins-Effekt in der Schlussphase schliesslich lebt, veröffentlichte - ebenfalls in der «Financial Times» - am 19. Februar 1986 einen Grundsatzartikel zum Weltschuldenproblem mit der Überschrift:
«Why the world econo-my needs a financial crash.»
Die Welt, so der City-Banker, braucht das Ausbuchen der Forderungen, weil die damit identischen «Rentiers Claims», die Ansprüche auf Sozialprodukt, ohne dass dieses erstellt werden muss, die freie Wirtschaft mehr und mehr erdrosseln. Wenn wir die «Wiederbelebung von Handel, Investitionen und Produktion» wollen, weg von der «progressiven Paralyse», die sich unter dem Druck der «Rentner-Ansprüche» ergeben hat, brauchen wir den Crash. «Er ist die notwendige Bedingung für eine Beschleunigung der realen ökonomischen Aktivitäten und vielleicht sogar für das Überleben des kapitalistischen Systems».
Die Vertreter der Casino-Theorie ahnen natürlich, dass die Sache schiefgeht. Die Hochbuchungs-Akte, alias das Verhindern des finanziellen GAU, alias «fresh mo-ney», alias «Baker-Plan» und so fort, werden mit «Auflagen» versehen, um die Schuldner doch noch zu mehr Drive zu zwingen. Da ist dann die Rede von «Sparkursen», die verschrieben werden, vom «Gürtel-enger-schnallen», vom Zwang, die Budget-Defizite, bzw. die nationalen Inflationsraten herabzuschrauben. Doch angesichts der immer grösser werdenden Summen, die auf dem Spiele stehen, sitzt zum Schluss nicht mehr der Gläubiger, der nicht mehr vollstrecken, sondern nur noch buchen kann, sondern der Schuldner auf dem Fahrersitz. «Ab einer bestimmten Summe», wusste schon der alte Rothschild, «schläft nicht mehr der Schuldner schlecht sondern der Gläubiger.» Die Vorstellung, auch der Gläubiger könne ruhig schlafen, weil als «Lender of last re-sort» schliesslich die lieben Notenbanken wachen, ist naiv. Denn:
In einer Weltwirtschaft, in der die zusätzlichen Kredite immer mehr aus hochgebuchten, aber nicht vollstreckten alten Krediten bestehen, ist nicht etwa «alles gut», weil «nichts mehr passieren kann». Eine solche Wirtschaft erlebt vielmehr: 1. Deflation, weil der Schuldendruck aus der früheren, expansiv-inflationären Phase immer grösser wird und die jeweiligen Grenzanbieter zu Preissenkungen zwingt, was die Preisniveaus auf immer mehr Märkten «versaut». Oder anders: Bevor die Notenbanken in ihrer ganzen Güte wieder neue Forderungen garantieren, müssen diese Forderungen ja erst mal notleidend geworden sein. Die «Lenders of last resort» treten erst dann als Feuerwehr auf, wenn es schon brennt. Es kann aber erst brennen, wenn sich die Kosten-Ertrags-Schere zuungunsten der zu «stützenden» Anbieter (Firmen, aber danach auch Staaten und Banken) entwik-kelt hat, was wiederum verfallene Preise voraussetzt. 2 Steigende Geldmengen, weil der mit Hilfe der Notenbanken gesicherte Cash-flow nun immer gewaltiger in die Kassen brandet, dort aber mangels weiterer Ausgaben bzw. «Anlagen-Möglichkeiten steckenbleibt. In fallende Märkte investiert man nicht (siehe Punkt 1). Die Kassen der Multis strotzen vor Cash, alle Welt sucht verzweifelt nach «neuen Märkten», man kauft sich gegenseitig auf, was das System nur noch mehr verflüssigt. Die Börsenkurse explodieren, obwohl die darunterliegende 'Wirtschaft alles andere als gut ausschaut.
Der Kapitalismus sitztr der ihm von den «wohlmeinenden» Politikern gestellten deflationären Falle, aus der es kein Entrinnen gibt. Nach der Logik der Casino-Theorie wäre dies das Schlussbild: Alle Forderungen sind Forderungen gegen Notenbanken geworden; da kein Schuldner mehr bankrott gehen kann, ist auch niemand mehr zur Leistung zu zwingen, das heisst zur Bankrottvermeidung durch Erstellung von Sozialprodukt. Die einzige Tätigkeit besteht im Betrachten der immer schneller hochgebuchten Computerauszüge der Notenbank-Konten bzw. der von den Notenbanken «garantierten» Konten.
Mit den Geldmengen explodieren auch die «Geldvermögen», die zum Schluss täglich fällig sind, die aber nicht fällig gestellt werden können, weil die Notenbanken nur ein Hochbuchen zulassen, aber kein «Abheben».
Wie weit wir in Richtung auf dieses Schluss-Szenario vorstossen, weiss niemand. Die finale Fallhöhe ist abhängig von dem Grad der Perversion, den die freie Wirtschaft und die vernünftigen Menschen darin noch zulassen. Ein System, in dem illusionierendes Hochbuchen zum erklärten Ziel des Wirtschaftens geworden ist, hat alle Skrupel, hat jede Moral verloren. Es ist kriminell geworden, und es muss sich, wie jeder andere Verbrecher auch, darauf einrichten, dass ihn der lange Arm der Rache jeden Tag ereilt.
Beitrag dürfte von etwa 1986 sein. Aber immer noch aktuell.