Aus der FTD vom 23.11.2004 http://www.ftd.de/zeise
Kolumne: Diplomatisches Meisterstück
Europa erlässt dem Irak Schulden und bekommt dafür wahre Aussagen über den Dollar.
Deutlicher kann man als Notenbanker nicht sein. Alan Greenspan hat am Freitag gesagt, dass der Dollar wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits der USA weiter abwerten muss. Er hat außerdem klar gemacht, dass er die negativen Wirkungen des Dollar-Verfalls auf die Zinsen in den USA und die Finanzierbarkeit des Haushaltsdefizits in Washington kennt und dennoch nichts gegen diese Entwicklung zu tun gedenkt.
Das muss auch den Letzten überzeugen, dass die US-Regierung und ihre Notenbank sich mit dem Verfall des Dollar abgefunden haben. Die Hoffnungen der Europäer, den Amerikanern könne die Minderung der Rolle des Dollar als Reservewährung und damit die Verschlechterung ihres Standings so schmerzhaft erscheinen, dass sie sich lieber mit den Partnern auf eine Stabilisierung ihrer Währung einlassen, diese Hoffnungen haben getrogen.
Präsident George W. Bush, sein Finanzminister John Snow und Greenspan richten sich auf weniger freundliche Zeiten ein. Steigende Zinsen seien nun so lange und oft angekündigt worden, sagte Greenspan am vergangenen Freitag, dass "jeder, der bis jetzt seine Positionen nicht angemessen abgesichert hat, offensichtlich einfach Geld verlieren will".
Tatsächlich sind in der jüngsten Phase der Dollar-Schwäche die Marktzinsen in den USA gestiegen, während die Renditen der in Euro denominierten Bundesanleihen noch leicht zurückgegangen sind. Im Klartext heißt das, dass US-Regierung und Notenbank bereit sind, etwas schlechtere Finanzierungsbedingungen für Banken, Unternehmen und Verbraucher zuzulassen.
In den USA restriktiver
Das ist neu. Die Welt hatte sich daran gewöhnt, dass die US-Notenbank eine möglichst leichte, um nicht zu sagen stimulierende Geldpolitik verfolgt. Das, was Greenspan nun angekündigt hat, ist ein Politikschwenk. Es ist der Schwenk in eine Richtung, wie sie die europäischen Notenbanker und viele Politiker immer verlangt haben.
Zum Beispiel unser Bundeskanzler. Gerhard Schröder ließ sich anlässlich des G20-Treffens am Wochenende, bei dem er und Finanzminister Hans Eichel Gastgeber in Berlin waren, mit Ratschlägen an die amerikanische Adresse vernehmen. Der schwache Dollar sei "eindeutig" auf das hohe Defizit im Staatsetat und in der Leistungsbilanz zurückzuführen. Aus Schröders Mund klingt diese Analyse besonders eigenartig. Um zu überzeugen, müsste er zumindest andeuten, warum das ebenso hohe Defizit in den Staatshaushalten der großen EU-Länder wie Deutschland keinen schwachen Euro zur Folge hat.
Es steht Schröder nicht, wenn er den Amerikanern Tugenden predigt, die er selbst nicht beherzigt. Die offensichtliche Scheinheiligkeit solcher Äußerungen bestärkt des Bürgers Ahnung, dass ihm argumentativ Sand in die Augen gestreut werden soll. Tatsächlich wollen die Berliner Politiker vor allem vermeiden, dass amerikanische Forderungen nach mehr Wachstum oder Wachstum fördernden Maßnahmen in Europa erhoben werden. Beim Treffen der G20 haben sie das erreicht. Sie haben - ein diplomatisches Meisterstück! - es sogar fertig gebracht, dass die Forderung nach einem höheren Beitrag Europas zum Wachstum der Weltwirtschaft im Kommuniqué des Treffens nicht erscheint, ja von der US-Delegation gar nicht erst erhoben wurde.
Umgänglicher John Snow
US-Finanzminister John Snow sei überhaupt sehr umgänglich gewesen, fanden die Konferenzteilnehmer aus dem Berliner Finanzministerium. Sie meinten damit, dass Snow angenehm undeutlich geblieben sei, ganz anders als Greenspan, der sich so undiplomatisch und ehrlich über die trübe Zukunft des Dollar habe verbreiten müssen. Snow sei es eben wichtiger gewesen, ein schönes Verhandlungsergebnis zu den Irak-Schulden mit nach Hause nehmen zu können. Nachdem das gesichert war, habe er in den eher deklaratorischen Währungsfragen milde und nachgiebig agiert.
So hat offensichtlich jede Seite ihre Prioritäten. Die Amerikaner wollten vor allem die Schuldenlast ihres Protektorats im Zweistromland und damit die eigenen Kosten des Irak-Krieges verringert wissen. Sie haben das erreicht. Die Euro-Europäer, diesmal unter der kompetenten Führung der Deutschen, wollten erreichen, dass die USA den Dollar-Verfall als amerikanisches Problem anerkennen. Auch das wurde erreicht. Alan Greenspan, die ehrliche Haut, hat die hohe Verschuldung der USA im Ausland, die wiederum Folge der jahrelang kumulierten Defizite in der Leistungsbilanz ist, als Ursache für die Dollar-Schwäche anerkannt. Er hat auch auf die Konsequenzen für die USA hingewiesen und, weil er schon dabei war, klar gemacht, dass er von Interventionen zur Stützung der US-Währung nichts hält.
So hat die europäische Seite als Verhandlungsergebnis dieser G20-Runde zwei Dinge erhalten: erstens ein Stückchen der Wahrheit, die uns allen schon schwante. Der Dollar wird fallen. Amerika toleriert den Fall der eigenen Währung, ist sogar bereit, die negativen Konsequenzen in Form steigender Zinsen zu ertragen. Zweitens wurden die verantwortlichen Regierungen und ihre Notenbank EZB nicht mit Forderungen belästigt, die stagnative Konjunktur zu stimulieren. Forderungen dieser Art kommen wahrscheinlich ohnehin aus dem Inland noch auf sie zu, wenn der starke Euro den bisher schon kümmerlichen Aufschwung ganz abgewürgt hat.
Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der FTD.
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