Befremdende Verharmlosungen
Von Claude Baumann
Obwohl sich die UBS tief in die Kreditkrise verstrickte, liess Bankenaufseher und Ex-UBS-Mann Eugen Haltiner Milde walten. Seine Unabhängigkeit wird angezweifelt.
Als Eugen Haltiner vor zwei Jahren Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) wurde, schien er eine gute Wahl zu sein. Die Finanzbranche hatte sich einen Praktiker gewünscht, und als bisheriges Kadermitglied der UBS brachte Haltiner genau diese Voraussetzung mit. Er sei ein «Vermittler, der die Gräben zwischen den freiheitsliebenden Banken und der EBK zuschütten könnte», spekulierte die Handelszeitung. Heute, im Licht der Krise bei der UBS, ist die Rolle des obersten Bankenaufsehers problematischer geworden.
Politiker aller Lager sind sich einig: Seit dem Ausbruch der Kreditkrise fasste die EBK die UBS mit Samthandschuhen an. SP-Nationalrat und Finanzexperte Urs Hofmann bezweifelt, dass das Organ seiner Aufgabe wirklich gewachsen ist, zumal es in den letzten Monaten offenbar keine Schwächen im Risiko- und Kontrollsystem der grössten Schweizer Bank entdeckt habe, wie er gegenüber der Aargauer Zeitung sagte. SVP-Nationalrat Hans Kaufmann ist überzeugt, dass es für die EBK genügend Anzeichen gegeben hätte, die Krise frühzeitig zu erkennen. Und in den Reihen der CVP ist man schlicht «ernüchtert» über die Arbeit der Behörde, wie unlängst in der NZZ am Sonntag zu lesen war. Auch in Finanzkreisen herrscht einmütig Kritik.
Das Börsenblatt Finanz und Wirtschaft folgerte unlängst ziemlich scharf: Als neutraler EBK-Chef habe Eugen Haltiner – wie es aussehe – nicht rechtzeitig den Mahnfinger erhoben. Verschiedene Banker wollen sich nur anonym äussern, weil sie sich vor Repressalien fürchten. Doch sie machen kein Hehl daraus, dass sie entsetzt sind, welche Milde die EBK bei der UBS walten lasse, während in anderen Fällen mit Härte durchgegriffen werde. Als Beispiel nennen sie die Verfahren wegen Meldepflichtverstössen bei Oerlikon, Sulzer und Implenia – ferner die Swissfirst-Affäre. Bis ins hinterste Detail durchleuchtete die EBK die Tätigkeit des Bankgründers Thomas Matter, ohne dass sich später nur eine Anschuldigung erhärten liess.
Erstaunliche Gnade
Wegen der drohenden Hypothekenkrise reisten zwar bereits vor Jahresfrist EBK-Vertreter nach London, um sich mit UBS-Spezialisten zu beraten. Doch war damals die Sache offensichtlich noch zu wenig akut, als dass man nach aussen hin etwas kommuniziert hätte. Anders im zweiten Halbjahr 2007, als die Immobilienkrise längst ausgebrochen war. Da reagierte die EBK erstaunlich gnädig: Eugen Haltiner nahm die UBS öffentlich in Schutz. Er vermied das Wort «Krise» und sprach stattdessen von «massiven Turbulenzen». Und nachdem die Grossbank im Dezember einen Abschreiber von 16 Milliarden Franken vorgenommen hatte, sagte Haltiner in einem Interview mit der Sonntagszeitung, die Wertberichtigung müsse «relativiert» werden. Die Grossbank habe «rasch und kräftig reagiert».
Solche Verharmlosungen befremden besonders bei einem Spezialisten, der zum damaligen Zeitpunkt wohl schon umfangreiche Informationen zur Problematik besitzen musste. Kommt hinzu, dass einige Finanzmarktexperten seit Monaten vor den enormen Folgen der Kreditkrise warnten. Warum also war die EBK bei der UBS nicht alarmiert?
Den Finanzminister als Freund
Eigentlich hatte bereits Haltiners Wahl an die Spitze der EBK im Sommer 2005 eine gewisse Verwunderung ausgelöst. Wie die Wirtschaftszeitung Cash damals aufdeckte, war Haltiner zuvor für jenen Bereich der UBS zuständig gewesen, der die Millionenkredite an die Winterthurer Familiengesellschaft Erb zu überwachen hatte. Haltiners Aufgabe war es obendrein gewesen, das Kreditvolumen abzubauen, da es nach der Fusion von Bankgesellschaft und Bankverein massiv angestiegen war. Das gelang ihm auch teilweise. Doch wurde er schliesslich vom Kollaps des weitverzweigten Mischkonzerns im Dezember 2003 überholt. Als grösste Kreditgeberin hatte die UBS happige Ausfälle zu beklagen, so dass sich Haltiner intern den Vorwurf gefallen lassen musste, er sei zwischen 1999 und 2003 allzu wohlwollend mit der Erb-Gruppe umgegangen.
Die Affäre war insofern auch schlecht, als die Grossbank damals ein geradezu makelloses Erfolgsimage besass. Umso mehr war sie bestrebt, einen Schlussstrich zu ziehen. Der frei werdende Posten bei der EBK in Bern kam ihr darum sehr gelegen, bot sich so doch die Möglichkeit, Haltiner nach Bern «wegzubefördern» – was in dieser Form von der Bank jedoch bestritten wird. Doch auch für Haltiner war diese Lösung ein Befreiungsschlag: Sie krönte seine ins Stocken geratene Karriere mit einem angesehenen Posten. So konnte Haltiner seiner Arbeitgeberin dankbar sein, dass sie ihn ziehen liess.
Seiner «Beförderung» nach Bern schadete ein weiterer Umstand ebenfalls nicht: Der Banker war seit Jahren mit Finanzminister Hans-Rudolf Merz befreundet. Die beiden kannten sich von der Bankgesellschaft her, wo Merz in den siebziger Jahren im SBG-Ausbildungs- und Tagungszentrum im thurgauischen Wolfsberg gearbeitet hatte. Und 1996, als die Bankgesellschaft die Kantonalbank von Appenzell Ausserrhoden übernahm, amtete Merz als Verwaltungsratspräsident des Staatsinstituts, während Eugen Haltiner die Grossbank vertrat.
2005 schlug ihn Merz als einzigen Kandidaten dem Gesamtbundesrat vor. Im August wählte ihn die Regierung zum Präsidenten. In der Folge liess sich Haltiner, 57-jährig, per Ende Januar 2006 frühzeitig pensionieren und kam so wohl auch zu guten Bedingungen aus der UBS heraus. Nur einen Tag später trat er in der Bundesstadt seinen neuen Job an. Auf mögliche Interessenkonflikte im Zusammenhang mit seiner früheren Arbeitgeberin angesprochen, äusserte sich der EBK-Präsident bereits kurz nach seiner Amtsübernahme klipp und klar: «Um Zielkonflikte zu vermeiden, werde ich Dossiers mit einem Bezug zur UBS nicht begleiten.» Der Handelszeitung sagte er weiter: «Ich werde zwar über die Dossiers informiert sein, trete aber im Entscheidungsprozess in den Ausstand.»
Was sich so selbstverständlich anhört, entpuppte sich im letzten Jahr als heikles Unterfangen. Während sich die Situation bei der UBS fast im Wochentakt zuspitzte, legte Haltiner nach aussen hin eine umso grössere Gelassenheit an den Tag. Aus Finanzkreisen muss er sich heute den Vorwurf gefallen lassen, wie die UBS-Oberen allzu sehr den komplexen Risikomethoden der Banken vertraut zu haben; jenen Modellen, mit denen die UBS im amerikanischen Derivatemarkt spekulierte – und die von der EBK abgesegnet worden waren.
Die Kritik wiegt umso schwerer, als die UBS nicht irgendein Geldinstitut ist, sondern ein Finanzkonzern, über den ein Drittel aller Bankbeziehungen hierzulande abgewickelt werden. Für Haltiners Milde gibt es in den Augen mancher Banker keine andere Erklärung, als dass der EBK-Präsident befangen ist – nicht zuletzt weil er seiner früheren Arbeitgeberin einen eleganten Abgang verdankt und damit auch sein zwiespältiges Vorgehen in der Erb-Affäre verdeckt wurde. Dieser Folgerung widerspricht die EBK und betont, ihre Aufgaben als Oberaufsicht für die Schweizer Finanzbranche jederzeit wahrgenommen zu haben. Eine weiterreichende Stellungnahme war nicht zu erhalten.
Der weiteren Entwicklung im Fall UBS kommt grosse Bedeutung zu. Erstens ist die Krise bei der Grossbank noch lange nicht vorbei und belastet dadurch den gesamten Finanzplatz. Allein deswegen ist der Handlungsbedarf schon gross. Will Haltiner zudem seine angezweifelte Unabhängigkeit wieder stärken, darf er nicht länger so pfleglich mit der UBS umgehen, sondern er muss in Erfahrung bringen lassen, wie stark die Bank noch gefährdet ist. Folgen weitere Milliardenabschreiber? Kann es sich das Unternehmen in Zukunft noch leisten, das riskante Investmentbanking zu betreiben, ohne den hiesigen Finanzplatz zu gefährden? Und mit welchen Risikomodellen sollen die Geschäftstätigkeiten der Grossbanken fortan überwacht werden?
Eugen Haltiners Umgang mit der UBS ist noch in anderer Hinsicht brisant. Mit dem neuen Finanzmarktgesetz (Finma), das vollständig Anfang des Jahres 2009 in Kraft tritt, avanciert der EBK-Präsident zum obersten Chef einer Amtsstelle, welche die Banken, Versicherungen und die Geldwäschereibekämpfung überwachen wird. Alles, was er nun entscheidet, wird auch ein Mass für die künftige Superbehörde sein. Haltiner steht unter Beweisdruck.
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