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Wann ist der Boden erreicht?
Die derzeitige Wirtschaftskrise hat bisher vor allem eines gelehrt: Es kann noch schlimmer kommen. Folglich heißt das Schreckgespenst der kommenden Monate und Jahre nun nicht mehr Rezession, sondern Deflation. Eine derartige Entwicklung käme der Weltwirtschaftskrise von 1929 nahe: Preisverfall, Bankenpleiten, explodierende Arbeitslosenzahlen. Ausgerechnet in der derzeit sinkenden Teuerungsrate sehen einige Ökonomen bereits erste Anzeichen für das "Worst Case"-Szenario, während die Notenbanken nervös an der Zinsschraube drehen.
EZB glaubt nicht an "Worst Case"
Die globale Wirtschaft steckt in ihrer tiefsten Krise seit Jahren - so viel ist sicher. Wo diese tatsächlich enden wird, ist unklar. Die Notenbanken drehen weltweit ihre Geldhähne auf, um eine drohende Rezession wenn schon nicht zu verhindern, dann zumindest abzufedern.
Immerhin geht der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem aktualisierten Weltwirtschaftsausblick bereits davon aus, dass die Wirtschaftsleistung aller Industriestaaten im kommenden Jahr schrumpfen wird - das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg.
Neues Schreckensszenario
In diesem ohnehin trüben Szenario spukt nun bereits ein weiteres Gespenst: das einer möglichen Deflation.
Dieses "Worst Case"-Szenario für eine Volkswirtschaft schlägt sich grob in einem breiten Verfall der Preise für Waren und Dienstleistungen nieder. Die Folgen: Unternehmen drosseln ihre Leistung, kappen Investitionen, Löhne sinken, die Arbeitslosigkeit steigt massiv. Die Entwicklung käme jener der Weltwirtschaftskrise von 1929 beträchtlich nahe.
Wie ernst ist die Lage?
Doch ist die Situation tatsächlich derart dramatisch? Ja, zeigte sich bereits im September Investmentlegende George Soros überzeugt und warnte gegenüber der französischen "Le Monde" eindringlich vor einem Kollaps des globalen Finanzsystems.
Soros' Befund damals: Die USA befänden sich bereits in einer Rezession, und Europa steuere auf eine Phase der Deflation zu. Tatsächlich sind die Wirtschaftseckdaten seither nicht besser geworden - im Gegenteil: Die Prognosen wurden mehrfach weiter gekappt.
Inflationsszenario kehrt sich um
Ein Szenario hat sich allerdings ins Gegenteil gekehrt: Inmitten rückläufiger Wirtschaftsleistung sinkt derzeit auch die Inflation. Hatten erst exorbitant gestiegene Rohstoffpreise die Teuerungsrate in die Höhe getrieben, so geht diese derzeit zurück. Ein Grund: Wegen nachlassender Nachfrage sind die Preise für Rohstoffe von Erdöl bis zu Getreide stark gesunken.
Von ihrem Hoch bei 4,0 Prozent im Sommer ging die Inflationsrate in der Euro-Zone im Oktober auf 3,2 Prozent zurück. Für das kommende Jahr rechnet EZB-Chef Jean-Claude Trichet mit einem Wert unter 2,0 Prozent - für Endverbraucher, die Monate unter der galoppierenden Teuerung gestöhnt hatten, vorerst eine positive Nachricht.
Konsumenten horten Geld
Auf der anderen Seite sehen einige Ökonomen in dieser Entwicklung bereits die Vorboten eines drohenden breiten Preisverfalls mit allen negativen Konsequenzen für Unternehmen.
Die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ") brachte das Szenario in einem Artikel unter dem Titel "Das große Preis-Rätsel" kürzlich plastisch auf den Punkt: "Das Gemeine daran ist. Potenzielle Käufer wissen um die Geldnot der Verkäufer, sie können sich Zeit lassen - und warten, bis die Preise noch tiefer fallen. Dann kühlt die Wirtschaft ab, bis sie schließlich zu erstarren droht. Und die Deflation kann ihre Kräfte entfalten."
Vorboten Immobilien- und Automarkt
Die Entwicklungen des US-Automarktes und der rapide Preisverfall bei Immobilien in den Vereinigten Staaten und Großbritannien weisen zumindest in diese Richtung - der mögliche Beginn der Spirale, die sich über Gewinneinbrüche bei Unternehmen, Investitionsstopps und Stellenabbau weiter nach unten dreht.
Das Szenario zu Ende gedacht, wären die weiteren Folgen ein sinkendes Lohnniveau durch ein Überangebot an Arbeitskräften und verunsicherte Konsumenten, die den Sparstift ansetzen, statt Geld auszugeben: Der Privatkonsum als Triebfeder der Binnenkonjunktur kommt zum Erliegen - der Teufelskreis schließt sich.
"Vermögen ist geschmolzen"
Die westlichen Industrienationen durchlebten bereits den Beginn einer derartigen Entwicklung, so IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard kürzlich. Sie erlebten einen "dramatischen Absturz des Vertrauens" von Konsumenten und Unternehmen.
"Ihr Vermögen ist geschmolzen. Die Verunsicherung ist sehr groß. Nachdem sie sich eine lange Zeit noch gut hielten, haben sie jetzt einfach Angst und haben sich deshalb entschlossen, weniger auszugeben."
Notenbanken drehen Geldhahn auf
Als Hoffnungsschimmer wertet Blanchard, dass die derzeitige Kaufzurückhaltung von Verbrauchern und Firmen teils durch ihre abwartende Haltung zu erklären sei. "Wenn sich die Lage auf den Finanzmärkten stabilisiert und die Unsicherheit abnimmt, könnte sich das Ausgabeverhalten schneller verbessern, als wir erwarten" - sprich: der Teufelskreis wieder durchbrochen werden.
Vorerst setzen die Notenbanken alles daran, Konsum und Investitionen über billigeres Geld in Schwung zu halten und derart die Konjunktur zu stützen.
Zinsen sinken gegen Tiefststand
In den USA schraubte die Notenbank Federal Reserve (Fed) den Leitzinssatz mittlerweile auf 1,0 Prozent herunter - den niedrigsten Wert seit vier Jahren. Eine weitere Lockerung gilt als wahrscheinlich, wie Bloomberg zuletzt berichtete.
In der Euro-Zone liegt der Leitzinssatz aktuell bei 3,25 Prozent. Weitere Senkungen seien nicht ausgeschlossen, ließ EZB-Chef Trichet zuletzt durchblicken.
Für ihn hängt die weitere Zinspolitik in erster Linie von der Entwicklung der Rohstoffpreise ab, konkret von einem weiter moderat sinkenden Verbraucherpreisindex. "Der wird aber nicht negativ werden", wies Trichet Spekulationen zurück, dass Europa tatsächlich vor einer Deflation steht.
http://www.orf.at/081107-31470/index.html