Quelle: Neue Solidarität 19/2006 (Abobeitrag)
Heuschrecken. Etwa 40% aller Übernahmen durch Beteiligungsgesellschaften enden mit Totalverlust.
Es ist höchste Zeit, daß die Regierung regulierend eingreift.
Es war einmal eine Bundesdruckerei. Seit 1879 fertigte sie im Auftrag der jeweiligen Regierungen Personalausweise, Briefmarken und Geldscheine an. Doch als das 20. Jahrhundert zur Neige ging, erhörte der Staat schließlich die Forderung der Finanzmärkte, angesichts der hohen öffentlichen Verschuldung das Tafelsilber zu verkaufen: von der Telekom über Sozialwohnungen bis hin zu städtischen Energie- und Wasserversorgern. So wurde im November 2000 auch die Bundesdruckerei privatisiert und an den meistbietenden Käufer abgegeben. Der britische Private Equity Fund Apax bot eine Milliarde Euro und erhielt den Zuschlag.
Der Fonds konnte den überraschend hohen Preis deshalb zahlen, weil er dafür nur zu einem kleineren Teil eigenes Geld einsetzen mußte; denn ein Private Equity Fund (auf deutsch: Beteiligungsgesellschaft, inzwischen als "Heuschrecken"-Fonds besser bekannt) verfügt über besondere Finanzmechanismen. Die meisten Firmenübernahmen durch derartige Fonds erfolgen über sogenannte "Leveraged Buy-Outs" (LBO), d.h. Übernahmen auf Pump. Im Falle der Bundesdruckerei schossen generöse Banken drei Viertel der Kaufsumme vor, was dem branchenüblichen "Leverage"-Faktor (Hebelwirkung) von 4:1 entspricht: Ein Private Equity Fund kann für jeden Euro an eigenem Geld vier Euro für Übernahmen ausgeben.
Nach der Übernahme werden diese Bankschulden dann unverzüglich auf das übernommene Unternehmen abgewälzt. Man stelle sich vor, der Konsument im Supermarkt könne an der Kasse auf die Tiefkühlpizza zeigen und sagen: "Die zahlt selbst." Bei Firmenübernahmen durch einen Private Equity Fund ist diese Praxis ganz selbstverständlich. Das betroffene Unternehmen muß die eigene Übernahme bezahlen, zumindest drei Viertel davon. Anschließend erfolgt dann stets eine radikale Umstrukturierung. Ist diese beendet, will der Fonds das Unternehmen so schnell wie möglich mit Gewinn verkaufen. Und zwar entweder an einen anderen Investor oder über einen Börsengang.
Auch unsere Bundesdruckerei mußte diese Tortur über sich ergehen lassen. Zwei Drittel der einst 3500 Mitarbeiter wurden entlassen oder "ausgelagert". Doch der angestrebte Börsengang scheiterte. Das inzwischen Authentos genannte Unternehmen hatte vor allem die Schuldenübernahme nicht verkraftet, es wurde im Sommer 2002 für einen einzigen symbolischen Euro an eine Auffanggesellschaft der Hessischen Landesbank verramscht und befindet sich mittlerweise im Besitz zweier Privatinvestoren.
Im Falle der Bundesdruckerei endete das Geschäft für Apax und die beteiligten Banken mit Totalverlust. Für einen größeren Fonds wie Apax ist das überhaupt kein Drama, denn eine beträchtliche Zahl von Totalverlusten ist von vornherein eingeplant. In anderen Fällen erzielen Private Equity Funds mit ihren Geschäften durchaus Renditen von 50-100% oder mehr. Die durchschnittlichen Renditen lagen jahrelang bei 30-40%.
Die Rolle der Banken
Kein Wunder, daß weltweit Banken, Pensionsfonds und andere Großinvestoren riesige Geldmengen in Private-Equity-Abenteuer umleiten. Nie zuvor hatten internationale Private Equity Funds soviel Geldmittel zur Verfügung wie heute. Indem sich auf diese Weise die größte Heuschreckenarmee aller Zeiten formiert, stellt sich natürlich die Frage, über welche Felder diese herfallen können. Wo gibt es noch genügend Substanz an übernahmefähigen Unternehmen, aus denen man in kurzer Frist Millionen und Milliarden herausziehen kann?
Die Antwort lautet: Deutschland. Bei Umfragen unter den weltweit tätigen Private Equity Funds wird Deutschland durchgängig als primäres Zielgebiet bezeichnet. Tausende von deutschen mittelständischen Unternehmen stehen in diesen Tagen auf dem Speiseplan internationaler Beteiligungsgesellschaften. Mehr als 5000 wurden bereits in den vergangenen Jahren übernommen. Eine besondere Rolle spielen dabei die großen deutschen Banken, die ihre hiesigen Firmenbeteiligungen und Firmenkredite abstoßen wollen.
Die Abkopplung der deutschen Banken vom deutschen Mittelstand hatte schon in den 90er Jahren eingesetzt, als beispielsweise bei der Deutschen Bank die "angelsächsische Kulturrevolution" ausgerufen wurde. In den Jahren 2002 und 2003 erfolgte dann eine gezielte Kampagne der internationalen Ratingagenturen und Investmentbanken gegen das deutsche Bankensystem. Es hieß, die deutschen Banken seien immer noch zu stark in das sich kaum rentierende und bisweilen sogar verlustbringende Geschäft mit Firmenkunden verstrickt. Daraufhin krachten die Aktienkurse der deutschen Banken zusammen, bis einzelne Banken in England und Spanien plötzlich einen höheren Marktwert besaßen als alle deutschen Großbanken zusammen.
Die hiesigen Banken verstanden die Botschaft und beschleunigten den Ausverkauf ihrer Mittelstandskredite. Zum Teil verkaufen deutsche Banken heute direkt ihre als problematisch eingestuften Firmenkredite weit unter dem Nominalwert an ausländische "Heuschreckenfonds", die auf diesem Weg die Kontrolle über die jeweiligen Unternehmen erhalten. Der amerikanische Cerberus, benannt nach dem gierigen Höllenhund der griechischen Mythologie, ist genau ein solcher auf die Erpressung mittels Problemkrediten spezialisierter Fonds.
"Größter privater Arbeitgeber"
Auskunft über die Lage auf dem deutschen Beteiligungsmarkt gibt der Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK), dem sowohl die deutschen wie vor allem die deutschen Abteilungen der ausländischen Private Equity Funds angehören. Insgesamt befanden sich demnach am Jahresende 2005 bereits 5723 deutsche Unternehmen im Portfolio von Beteiligungsgesellschaften. Die durch Private Equity finanzierten Unternehmen in Deutschland bringen es insgesamt auf einen Jahresumsatz von 170 Mrd. Euro und eine Belegschaft von 797 000 Mitarbeitern.
So prahlte BVK-Geschäftsführer Holger Frommann bei der Vorlage der Jahreszahlen am 14. Februar in Berlin: "Die Private-Equity-Industrie ist der größte private Arbeitgeber Deutschlands." Das von diesen Fonds verwaltete Kapital stieg im letzten Jahr von 45,0 auf 54,2 Mrd. Euro, insbesondere durch ein besonders erfolgreiches "Fundraising" in Höhe von 7,2 Mrd. Euro - 262% mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel des Kapitals stammen aus dem Ausland, 37 % von in- und ausländischen Pensionsfonds.
Bislang wurden erst 21,5 Mrd. Euro des verwalteten Kapitals, also weniger als die Hälfte, in Unternehmen investiert. Es ist also noch eine riesige Kriegskasse vorhanden und diese kann, wie erwähnt, bei Übernahmen noch mittels "Leverage" vervielfacht werden.
Im Jahre 2005 gehörten Unternehmen aus den Bereichen Computer-Software (9,9 %), Maschinen-/Anlagenbau (9,6 %) und Handel (9,3 %) zu den beliebtesten Zielobjekten der in Deutschland tätigen Private Equity Funds. Baden-Württemberg und Bayern waren mit Abstand die vorherrschenden Zielgebiete. Zwar wurden im Jahre 2005 lediglich 3,0 Mrd. Euro zusätzlich in deutsche Unternehmen investiert, aber dabei wurden insgesamt 983 Unternehmen erfaßt. Dies zeigt, daß der Schwerpunkt der Branche zur Zeit auf der teilweisen oder vollständigen Übernahme kleinerer bis mittlerer Unternehmen in Deutschland liegt. Drei Viertel der betroffenen Unternehmen haben weniger als 100 Beschäftigte.
Aufschlußreich ist nicht zuletzt die Abgangstatistik des BVK. Demnach trennte sich die Branche im vergangenen Jahr von insgesamt 717 deutschen Unternehmen. Davon wurden 199 Abgänge unter der Rubrik "Totalverlust" verbucht. Dabei ist die Quote letztes Jahr noch relativ niedrig ausgefallen. In den Jahren 2002 bis 2004 lag der Anteil der Totalverluste unter den Abgängen jeweils oberhalb von 40 %.
Insgesamt wurden in den letzten fünf Jahren von den Private Equity Funds 1630 deutsche Unternehmen als Totalverlust abgeschrieben. Einige davon, wie unsere ehemalige Bundesdruckerei, sind nach wie vor, wenn auch stark dezimiert, im Geschäft. Andere wurden vollständig zerschlagen oder gingen an den Folgen der Übernahme, etwa an Überschuldung, zugrunde. Man kann nur erahnen, wieviel realwirtschaftliche Substanz auf diese Weise unwiederbringlich verloren ging.
Zwei Welten
Bei Private-Equity-Übernahmen von mittelständischen Unternehmen stoßen zwei Welten aufeinander, die völlig unvereinbar sind. Ein typischer Familienbetrieb existiert über mehrere Generationen hinweg, und deshalb sind wichtige Entscheidungen in der Regel auf lange Zeiträume angelegt. Maßnahmen, die zwar kurzfristige Gewinne bringen, aber auf Kosten der langfristigen Überlebensfähigkeit gehen, müssen unterbleiben. Die Rendite ist häufig bescheiden und reicht gerade aus, um die Inhaberfamilie über Wasser zu halten und um die nötigen Investitionen vorzunehmen. Für die Volkswirtschaft zählen sowohl die Produkte, welche das Unternehmen herstellt, als auch die Einkommen, die es seinen Beschäftigten schafft.
Aus Sicht eines Private Equity Fund ist das übernommene Unternehmen ein Objekt, mit dem sich kurzfristig, auf welche Art auch immer, eine möglichst hohe Rendite erzielen läßt. Die Kapitalgeber des Fonds, das sind Banken oder wieder andere Fonds, erwarten dabei extrem hohe Renditen, die man einzig und allein durch rücksichtslosen Raubbau erzielen kann. Ein übernommenes Unternehmen wird für zwei bis fünf Jahre ausgequetscht, mit Schulden überladen und dann verkauft. Damit der Verkaufspreis stimmt, muß es zum Zeitpunkt des Verkaufs nach außen hin als lebensfähig erscheinen. Aber ob es am Tag darauf zusammenbricht, ist unerheblich. Die "Heuschrecke" ist längst auf dem Weg zu einem anderen Opfer.
Wenn die Bundesregierung nicht unverzüglich Gegenmaßnahmen ergreift, drohen Tausende Mittelstandsbetriebe in Deutschland zur schnellen Mahlzeit von amerikanischen und britischen Private Equity Funds zu werden.
Einige zaghafte Versuche zur Abwehr feindlicher Übernahmen aus dem Ausland wurden zwar schon unternommen. Aber dabei ging es bislang stets um Großunternehmen. Um den Mittelstand vor der "Heuschreckenplage" zu schützen, könnte zunächst eine Palette von Maßnahmen ergriffen werden, mit denen "Leveraged Buy-Outs" und die anschließenden Firmenverkäufe erschwert, steuerlich belastet oder ganz unterbunden werden. Mittels Regulierungen könnte man auch direkt bei den in Deutschland tätigen Private Equity Funds ansetzen.
Diese Abwehrmaßnahmen reichen allerdings nicht aus. Das tiefere Problem ist die finanzielle Misere des deutschen Mittelstands. Die Mittelstandsfinanzierung durch Kredite deutscher Großbanken ist in den letzten Jahren regelrecht zusammengebrochen. Und dafür muß ein Ersatz geschaffen werden.
Lothar Komp