Goldrausch in Katzhütte
VON ULLY GÜNTHER
KATZHÜTTE – Wir wissen ja wie es war: bei Jack London, in Dawson City - die Claims, Nuggets, der Yukon. Richtig: Goldrausch heißt das gesuchte Stichwort. Haben wir jetzt auch - Goldrausch, mitten in Deutschland. Der Yukon heißt Katze und liegt im Thüringer Wald. Dawson City hat 2200 Einwohner, heißt Katzhütte, duckt sich in ein enges Tal und besteht aus vier Gebirgsflüsschen, zwei Straßen in Form einer Astgabel und aus Schieferhäusern, die entweder an der Straße oder am Fluss stehen, was auf das Gleiche herauskommt, weil die Straße immer am Fluss liegt.
So sieht das Reich von Wilfried Machold aus. Ortsbürgermeister ist der 64-jährige, gelernter Verwaltungsbeamter, inzwischen spricht er wie John Wayne, wenn er Einwohnerschicksale referiert. „Den Heinz Martin hat's erwischt.“, sagt Machold trocken.
Heinz Martin, Eigner einer gepflegten Reihe von Gartenzwergen, wohnhaft in einem winkligen Schieferhäuschen in der Neuhäuser Straße, gilt als Vater des Goldrausches. Man muss wissen: Hier im Schiefergebirge mit seinen weichen Kuppen tut sich wenig. Es herrscht schönstes Gleichmaß, der Busen der Natur hebt sich und er senkt sich wieder, einen Millimeter rauf pro Jahr, weil sich die afrikanische unter die europäische Platte schiebt im Erdinnern, und knapp einen Millimeter wieder runter wegen der Erosion. Viel mehr passiert nicht. Deshalb ist es für Rentner wie Heinz Martin ein beliebtes Vergnügen im Wald nach Abwurfstangen von Hirschen zu suchen. Dabei setzte der 64-Jährige über die Katze. Deren Steine waren glitschig, er achtete sehr genau darauf, wo er hintrat. Vor seinen Füßen ein auffälliges Blinken, der Lockruf des Goldes.
Das Nugget maß 2,1 Zentimeter, hatte die Form einer späten Eizelle oder eines frühen Embryos, wurde in Katzhütte, weil hier verstärkt Handwerker wohnen, mehrfach neben Meterstäben fotografiert, selbstverständlich gewogen - 9,64 Gramm, und landete endlich in den Händen des Geochemikers Markus Schade, der mit seiner Frau Karin ein paar stille Täler weiter in Theuern das einzige Goldmuseum Deutschlands betreibt. „Das“, hielt Schade fest, „ist der größte Goldfund in Deutschland seit 200 Jahren.“ Reinheitsgrad 94 bis 96 Prozent.
Danach hat's dann Heinz Martin erwischt: Die Fernsehsender, die Radiojournalisten, die Zeitungen - alle standen vor seiner Tür, das Zentralorgan des guten Geschmacks in Deutschland brach in Euphorie aus. Statt Tor, Tor, Tor, jubelte BILD diesmal „Gold, Gold, Gold“.
Einen Tag und eine Zeitungsausgabe später wurde Bürgermeister Machold von seinen Einwohnern alarmiert, „Goldrausch“ in Katzhütte, Lektüre von Amts wegen geboten. Macholds Blick glitt tief in den Ausschnitt der „Goldschätzchen“ Ivonne und Anja, die mit auffallend gelben Spaten und amerikanischen Goldwaschpfannen „ins Tal der funkelnden Träume“ gezogen waren, um sich die Nuggets zu holen. „Tolle Bilder“, sagte Machold, „tolle Frauen. Hintergrund passt auch. Aber bei uns war's so saukalt, die hätten sich den Busen erfroren.“ Ein paar Täler weiter im Theuerner Goldmuseum sagte Frau Schade: „Die Spaten haben die sich bei uns ausgeliehen.“ Die Mädchen? „Die Mädchen doch nicht.“
Einen Tag und eine Zeitungsausgabe später, Freitag war's. Machold studierte das Bild einer Gruppe japanischer Männer, die sich in Anzügen auf einer Wiese eingefunden hatten. Drüber stand: „Goldrausch! Jetzt kommen schon die Japaner.“ - Tatsächlich waren die in Katzhütte, bloß nicht zum Goldsuchen, sondern zum Mittagessen. Die Ingenieursgruppe hatte das nahe gelegene Pumpspeicherwerk besichtigt.
Auch die Amis wachten endlich auf: Frau Schade erhielt eine dringende e-mail vom Rundfunkjournalisten Michael Rass. Eine Nachrichtenagentur habe berichtet, in Thüringen wollten sich Tausende auf die Goldsuche machen, schrieb ein erregter Rass, er wünsche zu berichten für die amerikaweit ausgestrahlte Sendung „The World“.
So blickte die Welt in dieser Woche auf Katzhütte, blickte auf diesen sonnenbeschienenen Samstag Vormittag am Ufer der Katze, wo auf einer Bierbank Julian Thiel saß und mit Ronny Acker in den Resten ihres Lagerfeuers stocherte. Rausch, sagten die Gesichter der Beiden, war hier schon. Ronny trank sein Frühstücksbier. Julians zusammenfassender Bericht beschränkte sich auf zwei Worte: „Tote Hose.“ Seit drei Tagen zelten die Jugendlichen aus dem Dorf am Fundort des Goldes. Hier feiern sie immer. 50 Meter weiter beendete die Jugendfeuerwehr ihre Übung unbeschwert am Bratwurstrost.
Und in den zarten Strudeln der Katze stand mit einer olivgrünen Gummihose Wolfgang Voigt. Der 44-jährige Geophysiker aus Magdeburg wäscht seit fünf Jahren hier Gold, inzwischen hat er ein knappes halbes Gramm, alles zusammengezählt. „Und wenn ich heut' morgen mehr als drei Mann entdeckt hätte, wär' ich gleich wieder verschwunden.“
Im Goldmuseum in Theuern hängt eine kleine Schiefertafel. Die Zahl 243 steht darauf. In 243 Flüssen Thüringens hat Markus Schade bislang Gold gefunden. Wenn er jeden Tag schürfen würde, so von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, dann käme er auf einen Verdienst von 9 Cent pro Stunde, hat er mal ausgerechnet - spaßeshalber.