Ich habe Dir mal einen Auszug aus Machiavelli's "Der Fürst" - zum Thema Ehrenwort. Ist ein bisschen lang, aber ich hebe die wichtige Textstelle vor:
Wie rühmlich es für einen Fürsten ist, die Treue zu halten und redlich, ohne Falsch, zu leben,
sieht jeder ein. Nichtsdestoweniger lehrt die Erfahrung, daß gerade in unsern Tagen die Fürsten Großes ausgerichtet haben,
die es mit der Treue nicht genau nahmen und es verstanden, durch List die Menschen zu umgarnen, und schließlich haben sie die Oberhand gewonnen über die, welche es mit der Recht- [103] lichkeit hielten. Man muß nämlich wissen, daß es zweierlei Waffen gibt: die des Rechtes
und die der Gewalt. Jene sind dem Menschen eigentümlich, diese den Tieren. Aber da die ersten oft nicht ausreichen, muß man gelegentlich
zu den andern greifen. Deshalb muß ein Fürst verstehen, gleicherweise die Rolle des Tieres und des Menschen durchzuführen. Diese Lehre haben
die Schriftsteller des Altertums den Fürsten verhüllt gegeben, wenn sie berichten, daß Achilles und viele andere Fürsten der
Vorzeit dem Zentaur Chiron zur Erziehung anvertraut wurden. Daß ein Fürst einen Lehrmeister bekommt, der halb Mensch und halb Tier ist,
soll nichts andres heißen, als daß er es verstehen muß, die Natur beider zu vereinigen, und daß eine allein keinen Bestand
hat. Da also ein Fürst imstande sein muß, die Natur eines Tieres anzunehmen, so muß er sich den Fuchs und den Löwen aussuchen,
denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen, der Fuchs gegen Wölfe. Man muß also Fuchs sein, um die Schlingen zu kennen, und Löwe,
um die Wölfe zu schrecken. Diejenigen, die sich einfach nach dem Löwen richten, verstehen ihre Sache schlecht. Ein kluger Fürst kann und
darf demnach sein Wort nicht halten, wenn er dadurch sich selbst schaden würde oder wenn die Gründe weggefallen sind, die ihn bestimmten, es zu geben. Wenn alle Menschen gut wären, wäre diese Vorschrift nicht gut; da sie aber schlecht sind und dir die Treue nicht halten würden, brauchst du sie ihnen auch nicht zu halten. Auch hat es einem Fürsten noch nie an rechtmäßigen Gründen gefehlt, um seinen Wortbruch zu beschönigen. Man könnte hierzu unzählige Beispiele aus neuerer Zeit anführen und zeigen, wieviel Friedensverträge und Versprechungen eitel und nichtig geworden sind durch die Treulosigkeit der Fürsten; und wer am besten [104] verstanden hat, den Fuchs zu spielen, ist am besten weggekommen. Man muß nur verstehen, der Fuchsnatur ein gutes Ansehen zu geben und ein Meister sein in Heuchelei und Verstellung: denn die Menschen sind so einfältig und gehorchen so leicht dem Zwang des Augenblicks, daß ein Betrüger stets einen finden wird, der sich betrügen läßt. Ich will von den neueren Beispielen eines nicht unerwähnt lassen. Papst Alexander VI. tat und sann nichts weiter, als die Menschen zu betrügen, und stets fand er eine Gelegenheit dazu. Kein Mensch hat je seine Versprechungen so nachdrücklich beteuert, so feierlich beschworen und so leicht gebrochen; nichtsdestoweniger gelangen ihm alle seine Betrügereien nach Wunsch, weil er die Welt von dieser Seite vorzüglich kannte. Es ist also nicht nötig, daß ein Fürst alle aufgezählten Tugenden besitzt, wohl aber, daß er sie zu besitzen scheint. Ja, ich wage zu behaupten, daß sie schädlich sind, wenn man sie besitzt und stets ausübt, und nützlich, wenn man sie zur Schau trägt. So muß der Fürst Milde, Treue, Menschlichkeit, Redlichkeit und Frömmigkeit zur Schau tragen und besitzen, aber wenn es nötig ist, imstande sein, sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Es ist wohl zu beachten, daß ein Fürst, zumal ein neuer, nicht alle Tugenden befolgen kann, die den guten Ruf der Menschen begründen, d er oft genötigt ist, um seine Herrschaft zu behaupten, gegen Treue, Barmherzigkeit, Menschlichkeit und Religion zu verstoßen. Deshalb muß er verstehen, sich zu drehen und zu wenden nach dem Winde und den Wechselfällen des Glückes, und am Guten festhalten, soweit es möglich ist, aber im Notfall vor dem Schlechten nicht zurückschrecken. ...
Macchiavelli ist für jeden der nach Macht und Machterhaltung strebt eine Pflichtlektüre. (Es gibt auch "Macchiavelli für Frauen" - das vielleicht mal bei Gelegenheit:) )