US-Imperialismus
Der Euro ohne deutsche Industrie
Sanktionen gegen Russland führen die EU in die wirtschaftliche Depression. Sabotage von Nord-Stream-Pipelines legt Berlin auf US- und NATO-Kurs fest
Von Michael Hudson
Der in New York lebende US-Ökonom Michael Hudson (Jahrgang 1939) analysierte bereits 1972 in seinem Standardwerk »Superimperialism« die Strategie der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten. Im folgenden Artikel, den Hudson exklusiv für junge Welt verfasst hat, ordnet er den Wirtschaftskrieg gegen Russland und dessen Folgen ein. (jW)
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Die Reaktion auf die Sabotage von drei der vier Nord-Stream-1- und -2-Pipelines an vier Stellen am Montag in der vergangenen Woche hat Spekulationen darüber genährt, wer für die Tat in Frage kommt und ob die NATO einen ernsthaften Versuch unternehmen wird, die Antwort zu finden. Doch anstelle von Panik herrschte große diplomatische Erleichterung, ja sogar Ruhe. Die Abschaltung der Pipelines beendet die Ungewissheit und die Sorgen von US/NATO-Diplomaten, die in der vergangenen Woche fast ein krisenhaftes Ausmaß erreicht hatten, als in Deutschland mehrere Demonstrationen stattfanden, bei denen die Beendigung der Sanktionen und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zur Behebung der Energieknappheit gefordert wurden.
Die Öffentlichkeit in Deutschland beginnt zu verstehen, was es bedeutet, wenn ihre Stahlunternehmen, Düngemittelfirmen, Glasunternehmen und Toilettenpapierhersteller schließen müssen. Diese Unternehmen rechnen damit, dass sie ihr Geschäft ganz aufgeben – oder in die Vereinigten Staaten verlagern – müssen, wenn Deutschland die Handels- und Währungssanktionen gegen Russland nicht fallenlässt und statt dessen die Wiederaufnahme der russischen Gas- und Öleinfuhren zulässt, was vermutlich die um das Acht- bis Zehnfache gestiegenen Preise wieder sinken lassen würde.
Die Falkin im US-Außenministerium, Victoria Nuland, hatte jedoch bereits im Januar erklärt, dass Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen werde, wenn Russland auf die zunehmenden ukrainischen Militärangriffe auf die russischsprachigen östlichen Oblasten reagiere. Präsident Joseph Biden bekräftigte am 7. Februar das Beharren der USA und versprach, dass es »Nord Stream 2 nicht mehr geben wird. Wir werden dem ein Ende setzen. (…) Ich verspreche Ihnen, dass wir dazu in der Lage sein werden«.
Die meisten Beobachter gingen davon aus, dass diese Aussagen die offensichtliche Tatsache widerspiegelten, dass deutsche Politiker voll und ganz in der Tasche der USA/NATO steckten. Berlin weigerte sich, Nord Stream 2 zu genehmigen, und Kanada beschlagnahmte bald die Siemens-Dynamos, die benötigt wurden, um Gas durch Nord Stream 1 zu leiten. Damit schien die Angelegenheit erledigt zu sein, bis die deutsche Industrie – und eine wachsende Zahl von Wählern – schließlich zu berechnen begann, was eine Blockade des russischen Gases für die deutschen Industrieunternehmen und damit für die Arbeitsplätze in Deutschland bedeuten würde.
Die Bereitschaft Deutschlands, sich selbst eine wirtschaftliche Depression aufzuerlegen, schwankte – allerdings nicht bei seinen Politikern oder der EU-Bürokratie. Wenn die politischen Entscheidungsträger die Interessen der deutschen Wirtschaft und den Lebensstandard an die erste Stelle setzen würden, würden die gemeinsamen Sanktionen der NATO und die Front des neuen kalten Krieges durchbrochen. Italien und Frankreich könnten diesem Beispiel folgen. Diese Aussicht machte es dringend erforderlich, die antirussischen Sanktionen aus den Händen der demokratischen Politik zu nehmen.
Obwohl es sich um einen Gewaltakt handelt, hat die Sabotage der Pipelines die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der NATO wieder beruhigt. Es besteht keine Ungewissheit mehr darüber, ob sich Europa von der US-Diplomatie lösen könnte, indem es den gegenseitigen Handel und die Investitionen mit Russland wieder aufnimmt. Die Gefahr, dass sich Europa von den Handels- und Finanzsanktionen der USA und der NATO gegen Russland lossagt, ist scheinbar auf absehbare Zukunft gebannt. Russland hat bekanntgegeben, dass der Gasdruck in drei der vier Pipelines sinkt und dass das Eindringen von Salzwasser die Rohre irreversibel korrodieren wird.
Wenn man sich anschaut, wie dies das Verhältnis zwischen dem US-Dollar und dem Euro beeinträchtigen wird, kann man verstehen, warum die scheinbar offensichtlichen Folgen eines Abbruchs der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland, Italien sowie anderen europäischen Volkswirtschaften und Russland nicht offen diskutiert wurden. Die Lösung ist ein deutscher und in der Tat ein europaweiter wirtschaftlicher Zusammenbruch. Das nächste Jahrzehnt wird eine Katastrophe sein. Es mag Vorwürfe über den Preis geben, der dafür gezahlt wird, dass die europäische Handelsdiplomatie von der NATO diktiert wurde, aber die europäischen Staaten können nichts dagegen tun. Bislang erwartet (noch) niemand, dass sich die EU in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit rettet. Was erwartet wird, ist, dass der Lebensstandard der Bevölkerung sinkt.
(...)
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Katze: Ich bin keine Bürger der EU, empfinde aber trotzdem eine grosse Wut auf die Skrupellosigkeit der Transatlantiker und die Dummheit der meisten europäischen Politiker/innen. Es ist eine Katastrophe, dass es in fast 80 Jahren nicht gelungen ist die Amis in Europa zurückzubinden. Jetzt wird es schmerzhaft.