Wenn der einst starke Riese sich selbst zerstückelt hat, kommen die Hyänen und geben ihm den Rest..
Übernahmen in Deutschland
Die Zahl der Übernahmen deutscher durch auswärtige Unternehmen – chinesische, indische, polnische, tschechische – nimmt zu. Ursachen sind die Wirtschaftskrise und die Rekordzahl an Insolvenzen im deutschen Mittelstand.
Die Wirtschaftskrise in Deutschland führt zu einer steigenden Zahl an Übernahmen deutscher durch auswärtige Unternehmen. Ursachen sind zum einen das Schwächeln großer Konzerne, zum anderen die aktuelle Pleitewelle vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Erst kürzlich ist mit Covestro zum ersten Mal ein Dax-Konzern von einem Konzern aus den Golfstaaten geschluckt worden – von Adnoc aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aktuell sichert sich unter anderem der chinesische E-Commerce-Riese JD.com die Mehrheit am deutschen Elektronikhändler Ceconomy (Media Markt, Saturn), um in Europa mit Amazon und Alibaba konkurrieren zu können. Die chinesische Sportmarke Anta Sports Products prüft eine Übernahme der deutschen Marke Puma. Zugleich dauern die Gespräche über die mögliche Übernahme von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), Deutschlands größtem Stahlhersteller, durch den indischen Stahlgiganten Jindal Steel International an. Insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, von denen eine immer größere Zahl von der Pleite bedroht ist, treten tschechische und polnische Investoren als Käufer auf. Deutschland ist Schwerpunktland ausländischer Übernahmen in der EU.
Chinesische Investoren
Der chinesische E-Commerce-Riese JD.com hat sich eine Mehrheitsbeteiligung von rund 59,8 Prozent am deutschen Elektronikhändler Ceconomy gesichert, der unter anderem die Elektronikfachmarktketten Media Markt und Saturn kontrolliert.[1] Der Börsenwert von Ceconomy beläuft sich gegenwärtig auf rund 2,2 Milliarden Euro; das Unternehmen erzielte zuletzt einen Umsatz von 22,4 Milliarden Euro und beschäftigt mehr als 50.000 Menschen. JD.com und sein zukünftiger Partner Convergenta werden gemeinsam 85,2 Prozent an Ceconomy halten. Durch die Übernahme erhält JD.com Zugang zu über 1.000 Filialen und kann sein Europageschäft im Wettbewerb mit Alibaba und Amazon ausbauen. Ceconomy-Chef Kai-Ulrich Deissner kommentierte dies optimistisch: „Mit JD.com als unserem Partner können wir unseren eingeschlagenen Wachstumskurs beschleunigen“. Der Abschluss der Transaktion muss noch von den Regulierungsbehörden genehmigt werden und soll Anfang nächsten Jahres erfolgen.[2] Es handelt sich dabei nicht um den einzigen chinesischen Übernahmeplan für ein großes deutsches Unternehmen. Der chinesische Sportartikelhersteller Anta Sports Products prüft zur Zeit eine Übernahme der deutschen Sportmarke Puma.[3] Die Marktbewertung des Unternehmens, das mit mehr als 22.000 Mitarbeitern einen Umsatz von zuletzt 8,8 Milliarden Euro erzielte, hat sich seit Jahresbeginn auf 2,52 Milliarden Euro halbiert.
Indische Käufer
Übernahmen durch Konzerne aus China werden in Politik und Medien oft hervorgehoben, spielen aber keinesfalls eine dominierende Rolle. So plant der indische Stahlgigant Jindal Steel International den Kauf von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), Deutschlands größtem Stahlhersteller, und hofft auf politische Unterstützung bei den Übernahmeverhandlungen.[4] Narendra Kumar Misra, Direktor für das Europageschäft bei Jindal Steel International, erklärte am vergangenen Freitag, weitere staatliche Subventionen in Europa seien mit Blick auf die geplante Übernahme von TKSE „ein wichtiger Faktor in unserer Strategie“. Anfang September hatte Jindal Steel ein unverbindliches Angebot für TKSE abgegeben und Investitionen in Höhe von zwei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Erst im vergangenen Jahr hatte Thyssenkrupp einen Anteil von 20 Prozent an TKSE an den tschechischen Milliardär Daniel Křetínský verkauft – mit dem Ziel, weitere 30 Prozent der Anteile zu veräußern.[5] Der Plan ging nicht auf. ThyssenKrupp versucht seit Jahren, sein Stahlgeschäft abzustoßen. Bereits im Jahr 2019 hatte die EU-Kommission ein Joint Venture zwischen einem anderen indischen Stahlgiganten, Tata Steel, und Thyssenkrupp aufgrund von wettbewerbsrechtlichen Bedenken untersagt.[6] Tata hatte schon früher den europäischen Stahlsektor erschlossen, als das Unternehmen im April 2007 für zwölf Milliarden Dollar den anglo-niederländischen Konzern Corus übernahm und damit zu einem der größten Stahlhersteller der Welt wurde.[7]
Osteuropäische Interessenten
In jüngster Zeit nehmen auch Übernahmen und Investitionen aus Tschechien und Polen in Deutschland zu – aktuell allerdings vor allem im Mittelstand. Das Phänomen ist nicht völlig neu; so ist der tschechische Konzern Agrofert, der bis vor kurzem dem neuen tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš gehörte, schon vor Jahren bei SKW Stickstoffwerke Piesteritz und beim Backwarenhersteller Lieken eingestiegen. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank vom Oktober stieg der Bestand tschechischer Investitionen in Deutschland im Jahr 2023 um fast 30 Prozent auf fast fünf Milliarden Euro.[8] Anfang dieses Jahres erwarb etwa der tschechische Obstbrändehersteller R. Jelínek eine Mehrheit von 52 Prozent an Berlins größter handwerklicher Brennerei BLN, wodurch er Zugang zu großen Lebensmittelketten wie REWE und Edeka erhielt. Petr Minárech, CEO der neu benannten R. Jelinek Deutschland GmbH, kommentierte dies: „Als wir unsere Zusammenarbeit begannen, war Jelínek in etwa drei oder vier Geschäften vertreten. Jetzt sind es Hunderte.“[9] Zugleich stieg die Zahl der polnischen Übernahmen von zwei im Jahr 2024 auf bereits sechs in diesem Jahr. So erwarb das polnische Cloud- und Internet-of-Things-Unternehmen Transitional Technologies PSC Anfang dieses Jahres 100 Prozent der Anteile am deutschen Datenanalyse-Spezialisten x-Info Wieland Sacher GmbH.[10] Laut Szymon Bartkowiak, dem Geschäftsführer von TT PSC, hat das Unternehmen seitdem eine Flut neuer Aufträge erhalten.
Steigende Insolvenzen
Als Hauptgrund für die tschechischen und polnischen Investitionen in Deutschland gilt die wachsende Insolvenzwelle insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). KMU erwirtschaften etwa die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung, stellen fast 60 Prozent der Arbeitsplätze und machen rund 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland aus. Tatsächlich erreichte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland bereits in der ersten Jahreshälfte 2025 mit 11.900 – 9,4 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum – den höchsten Stand seit zehn Jahren.[11] Für das Gesamtjahr geht die Wirtschaftsauskunftei Creditreform von rund 23.900 aus – so viel wie nie seit 2014.[12] Dadurch eröffnet sich eine Chance für liquiditätsstarke tschechische und polnische Unternehmen, die in Deutschland Fuß fassen wollen – insbesondere in den Bereichen Produktion und Logistik, darunter exportorientierte Unternehmen. „Deutschland ist heute relativ ‚billiger‘ ..., was die Attraktivität von Vermögenswerten für ausländische Käufer, darunter auch solche aus Polen, erhöht“, erklärte Łukasz Chrabański, Leiter der polnischen Investitions- und Handelsagentur, gegenüber Reuters.
Schwerpunkt Deutschland
Die Gesamtzahl der Übernahmen deutscher durch ausländische Unternehmen sowie interner Mergers & Acquisitions (M&A) hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Nach Angaben der London Stock Exchange Group waren ausländische Investoren in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 an deutschen M&A-Transaktionen im Gesamtwert von 111 Milliarden US-Dollar beteiligt; dies entspricht einem Anstieg von 39 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.[13] Insgesamt haben laut „M&A Outlook 2025” rund 65 Prozent der Unternehmen im Jahr 2024 mehr Fusionen initiiert und abgeschlossen als im Vorjahr.[14] Innerhalb Europas bleibt Deutschland das beliebteste Ziel für ausländische Übernahmen. Laut einem aktuellen Bericht der EU-Kommission entfielen 21 Prozent (412 Transaktionen) der ausländischen Übernahmen in Europa im Jahr 2024 auf Deutschland; dies stellt den höchsten Anteil in der EU dar.[15] Das größte auswärtige Interesse weckt das deutsche produzierende Gewerbe. Laut einer Studie der KfW entfielen zwischen 2020 und 2023 33,4 Prozent der Übernahmen auf diesen Sektor, gefolgt von Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie mit einem Anteil von 27,6 Prozent.